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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Kinn an und mustert sie. »Das ist ja ein übler Kratzer da auf deiner Stirn. Muss wehgetan haben. Müde siehst du aus. Und abgemagert bist du. Komm, setz dich dahin, ich sorge dafür, dass du was Ordentliches zwischen die Backen bekommst.«
    Janne klettert auf einen Barhocker und wartet. Grit hat nicht viel zu tun, nur zwei Tische sind besetzt. Im Sommer ist es manchmal sogar schwierig, Stehplätze zu ergattern, vor allem abends, wenn die Wirtin karibische Cocktails mixt und dazu deutsche Schlager aus den Siebzigern auflegt.
    Es dauert nicht lange, bis weitere Insulaner eintreffen, um Janne zu begrüßen, sie stammen aus dem Bekanntenkreis ihres Vaters. Darauf hat sie spekuliert. Halbwegs geduldig lässt sie Beileidsbeteuerungen wegen Erik über sich ergehen und beantwortet Fragen über die Genesungsaussichten Paul Fleckers in gewohnt pessimistischer Weise. Grit serviert nacheinander Fischsuppe, Knieper und Rote Grütze mit Sahne, dazu Bier und abschließend einen Eiergrog, ebenfalls mit Sahne. Ein Versuch, sieinnerhalb kürzester Zeit zu mästen. Janne isst und trinkt, so viel sie kann, so wird wenigstens nicht von ihr erwartet, dass sie in einem fort redet. Danach ist das Kratzen in ihrem Hals nahezu verschwunden.
    »Habt ihr ein Apartment oder ein Zimmer in eurer Pension frei?«, fragt sie Grit.
    »Ja, klar, aber du kannst gern bei uns wohnen. Im Gästezimmer. Uwe wäre begeistert.«
    Janne zögert, nicht nur, weil sie Grits Mann Uwe nicht mag und nie auch nur einen Anflug von Begeisterung oder wenigstens Höflichkeit bei ihm erlebt hat. Auch wegen ihrer Mission. Sie will keine Rechenschaft darüber ablegen müssen, wann sie kommt und geht und wo sie sich herumtreibt. Gleichzeitig könnte die Wirtin ihr eventuell eine Hilfe sein. Sie kennt jeden auf der Insel.
    »Mach uns doch die Freude«, sagt Grit. »Okay.«
    »Was treibt dich eigentlich hierher, Janne Flecker, willst du dir bloß den Wind um die Nase pusten lassen?«, fragt ein Mann mit Stirnglatze und Brille, der auf der Insel mehrere Spirituosengeschäfte und eine Parfümerie besitzt. Die meisten Helgoländer verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Fremdenverkehr und dem Verkauf zollfreier Waren. Seine Frage ist ihr Stichwort.
    »Nö. Ich möchte Details über den Untergang der Tyne in Erfahrung bringen«, sagt sie, als wäre das ein ebenso unverfängliches Gesprächsthema wie der heraufziehende Sturm. »Kann sich noch jemand daran erinnern?«
    Schweigen. Keine Verlegenheit, sondern die Art Schweigen, die einem gezückten Messer ähnelt. Janne ist enttäuscht, aber nicht überrascht. Einen Versuch war es wert. Nun weiß zwar jeder, warum sie hier ist, doch das hätte sich ohnehin schnell herumgesprochen.
    »Also nicht?«, fragt sie.
    »Das Unglück ist fast ein halbes Jahrhundert her. Wieso interessierst du dich dafür?«, will Grit wissen.
    »Es war 1976, also vor nicht ganz so langer Zeit. Und immerhin war die Tyne eine Yacht, die mein Vater gebaut hatte.«
    »Paulchen Flecker hat viele Boote gebaut«, sagt der bebrillte Spirituosenhändler, und die Umstehenden lachen wie über einen gelungenen Witz. Dann sagt er etwas auf Halunder, der Helgo-länder Variante des Friesischen, die altdänische Fragmente in sich birgt und ausschließlich auf der Felseninsel gesprochen wird. Janne versteht lediglich die Namen Flecker und Sayer. Das Lachen wird lauter.
     
    Helgoland ist nur einen Quadratkilometer groß, und es gibt außer Polizei- und Krankenwagen, einem Elektrotaxi und einigen Elektrokarren zum Lastentransport keinerlei Verkehrsmittel. Sogar Fahrräder sind verboten. Janne muss also sämtliche Wege zu Fuß erledigen, was nicht schlimm wäre, hätte sie nicht andauernd dieses Gefühl, verfolgt zu werden. Mehrmals dreht sie sich überraschend um, doch nie ist jemand zu sehen. Jedenfalls niemand, der ihr bekannt vorkäme. Niemand mit Kapuze und der Statur des Reiters aus dem Watt.
    Sie geht zur Post. Wie ein Blick ins Telefonbuch verrät, wohnt Ewald Hansen im Oberland. Ein Fahrstuhl verbindet das Unterland, also den Teil der Insel, der auf Meereshöhe liegt, mit dem Felsplateau. Der Fahrstuhlführer lacht bei ihrem Anblick leise in sich hinein. Janne gibt ihm die Münzen für die Fahrt und ignoriert seinen Heiterkeitsausbruch ebenso wie kurz zuvor das Gelächter im Atlantis. Seine Hände sind schwitzig. Das kann an der stickigen Wärme in der kleinen Kabine liegen. Oder daran, dass Jannes neugierige Fragen unter den Insulanern nicht ausschließlich Frohsinn

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