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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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natürlich hart. Ich glaube, sie fühlt sich manchmal etwas einsam, vor allem an Tagen, an denen ich zehn Stunden und mehr mit meinen Studien zubringe. Aber was soll ich machen? Ich kann nun mal nicht aus meiner Haut.«
    »So geht es meinem Vater auch«, sagt Janne und fragt sich, wer wohl mehr auszustehen hatte: Viktoria oder Mäuschen? Sie betrachtet ihre Hände. Mehr denn je ist sie froh, keinen Ehering am Finger zu tragen.
    »Wie lange trieb mein Vater im Wasser? Wurde er verletzt?«, nimmt sie den Faden wieder auf.
    Hansen studiert seine Aufzeichnungen. »Vom Notruf, den die Tyne abgesetzt hat, bis zur Bergung ihres Vaters vergingen keine dreißig Minuten. Es war ihm gelungen, eine Rettungsinsel ins Wasser zu lassen. Er hatte großes Glück. Nach seiner Bergung wurde Paul Flecker mit Unterkühlungen in die Paracelsus-Klinik hier auf Helgoland gebracht und am nächsten Tag auf eigene Verantwortung entlassen.«
    »War es eigentlich ein schwerer Sturm?«
    »Augenblick ...« Er leckt an seinem Zeigefinger und blättert weiter. »Ja, aber kein Orkan. Windstärke acht bis zehn. Ich selbsterinnere mich an diese Nacht und muss sagen, ich habe weitaus Schlimmeres erlebt. Was den Wind angeht. Allerdings sollen sich ungewöhnlich hohe Wellen aufgetürmt haben, bis zu fünfzehn Meter hoch. Das hat Paul Flecker später zu Protokoll gegeben, außerdem gibt es zahlreiche Berichte von Fischern, die diese Angabe bestätigen. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass der Wetterdienst damals weder den Sturm noch den Seegang vorausgesagt hat. Es gab keinerlei Warnmeldungen. Sonst wären Ihr Vater und Klaas Tegtmeyer bestimmt im Hafen geblieben - mit so einem wertvollen Schiff will man doch kein Risiko eingehen.«
    »Sicher nicht«, bestätigt Janne. Um Zeit zu sparen, bittet sie Hansen, selbst einen Blick in seine gesammelten Werke werfen zu dürfen, was er widerstrebend gestattet. Sie liest, dass es nach der Havarie eine Untersuchung der Küstenwache gegeben hat. Die Experten kamen zu dem Ergebnis, »drei Schwestern«, also drei aufeinanderfolgende Riesenwellen, sowie ein missglücktes Ausweichmanöver hätten zum Kentern geführt und schließlich den Untergang der Tyne verursacht. Ebenso wie die Leiche des Skippers wurde auch die gesunkene Yacht nie entdeckt, nur einige Wrackteile wurden am Nordstrand angespült oder von Fischern aus dem Meer geholt. Ein Foto der Lokalzeitung zeigt Paul Flecker am Tag nach seiner Rettung. Sonderlich erschüttert sieht er nicht aus.
    »Könnte ich mir einige Seiten aus dem Ordner kopieren?«, fragt Janne.
    Ewald Hansen wackelt mit dem Kopf. »Nun ja, ich gebe meine Unterlagen eigentlich nicht so gern aus der Hand.« Er brüllt nach seiner Frau, die augenblicklich erscheint. »Geh doch mal runter zur Kurverwaltung, die sollen dir hiervon ein paar Kopien ziehen. Bist du so lieb, Mäuschen? Und bestell schöne Grüße von mir.« Er übergibt ihr nicht den gesamten Ordner, sondern einige ausgewählte Seiten.
    »Sie haben ja überhaupt keine Kekse gegessen«, sagt Mäuschen zu Janne und starrt auf den Teller mit Gebäck.
    »Verzeihung, Frau Hansen, ich habe keinen Hunger.«
    »Manchmal frage ich mich, wozu ich überhaupt noch in der Küche stehe und backe.«
    »Mäuschen«, sagt Ewald Hansen mit drohendem Unterton.
    Dass manche Frauen fähig sind, ihre Ehemänner zu ermorden, kann Janne immer besser verstehen. Schwerer einzusehen ist, warum es so viele gibt, die es nicht tun. Sie sieht die geladene Walther 9 mm vor Augen, verborgen in ihrem Rucksack zwischen den Hosenbeinen eines rosafarbenen Flanellschlafanzugs, und eine Ahnung von Macht kommt über sie. Von wegen Heiliges Land.
     
    Wenig später öffnet Hansen ihr das Tor zur Vorhölle. Jedenfalls empfindet Janne es so, die Helgoländer mögen das anders sehen: Neben dem Schulhof befindet sich der Eingang zu umfangreichen Bunkeranlagen aus dem zweiten Weltkrieg. Ein kleiner Abschnitt davon kann besichtigt werden, und einer derjenigen, die befugt sind, Touristen durch diese von Menschenhand geschaffene Unterwelt zu führen, ist Ewald Hansen, was Janne wiederum bestens in den Kram passt. Sie hat ihn um eine Führung gebeten. Und Ewald Hansen führt gern.
    Zwanzig Meter geht es zunächst über ein so genanntes Paniktreppenhaus mit zwei gegenläufigen Treppenzügen in die Tiefe. Von dort gelangen sie in den Fuchsbau, einen abschüssigen, relativ geräumigen Stollen, der auf rund fünfundachtzig Metern Länge begehbar ist. Dann versperrt eine Mauer den Weg.

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