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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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sich aufmerksam zu machen, aber so, wie die Dinge stehen, kommt sie allein ohnehin nicht zurecht. Vielleicht ruft ja irgendjemand die Polizei. Warum tut sie es eigentlich nicht selbst? Janne greift nach ihrem Handy. Kein Empfang.
    Sie hat Glück, die Höhle erweist sich tatsächlich als Eingang eines Stollens. Sie zieht sich einige Meter weit zurück und wartet, die Pistole auf den Eingang gerichtet. Nichts passiert. Es fallen keine weiteren Steine, und niemand lässt sich blicken. Sicher hat sie Angst, doch längst nicht so sehr wie in der Nacht im Hotelzimmer. Eigentlich ist es eher Ärger, der sie peinigt. Ärger über die eigene Dummheit. Sie hätte den Schutz der Reisegruppe nicht verlassen dürfen. Allein schon um nicht erkannt zu werden, hätte der Mann sich daraufhin mit Sicherheit zurückgezogen. Sie hat sich von ihrem Fluchtinstinkt in die Irre führen lassen. Und was nun? Zurückzugehen traut sie sich nicht, denn sobald sie sich wieder auf dem Pfad befände, wäre sie womöglich erneut dem Bombardement der Steine ausgeliefert. Ein richtiger Treffer und das Schiff wäre versenkt.
     
    Eine Stunde verstreicht. Janne friert. Sie hat Schmerzen im Hals und an der Schulter. Sie spielt mit der Taschenlampe, leuchtet ins Dunkel. Nachdem ein erstes Flackern des Lämpchens ihr bewusst gemacht hat, dass Batteriestrom eine begrenzte Energiequelle ist, beschließt sie, sich in Helgolands Unterwelt vorzuwagen. Der Rote Felsen ist auf der Seite der Bedrängten, sagt sie sich.
    Zunächst kommt sie gut voran. Ein langer Gang, so schmal, dass sie mit beiden Händen die Seitenwände berühren kann. Sie muss gebückt gehen, um nicht mit dem Kopf anzuschlagen. Zwischendurch schaltet sie das Licht ab - eine Sparmaßnahme, die ihr ein Höchstmaß an Tapferkeit abverlangt. Die Pistole steckt griffbereit in ihrer Jackentasche.
    Es dauert nicht lange, bis sie die erste Gabelung vor sich hat. Sie entscheidet sich für den breiteren Stollen und markiert die Richtung, aus der sie gekommen ist, mit einem zerknüllten Papiertaschentuch. Zwei Päckchen hat sie dabei.
    Der breitere Gang erweist sich als Sackgasse. Zuerst muss sie über Geröll hinwegklettern, schließlich versperrt eine Mauer den Weg. Keine Chance. Janne macht kehrt. Der schmale Abzweig verengt sich nach wenigen Metern weiter und geht in einen Kriechstollen über. Auf allen vieren setzt sie ihren Weg fort. Sie bedauert, nicht mehr Schnaps von den Kegelfreunden angenommen zu haben, denn in nüchternem Zustand sind die Strapazen schwer erträglich. Längst ist ihr nicht mehr kalt, sondern heiß, widerwärtig heiß. Sie schwitzt wie eine Fieberkranke. Schweiß rinnt über ihr Gesicht, die Kleidung klebt an ihrem Körper. Wenn wenigstens diese Schluckbeschwerden nicht wären. In dem engen Stollen hat sie ohnehin schon das Gefühl zu ersticken.
    Obwohl es nur zwei Richtungen gibt, vor und zurück, verliert sie bald die Orientierung. Sie weiß nicht, wo Norden oder Süden, vorübergehend nicht einmal, wo oben und unten ist. Hätte sie diese verfluchte Lampe bloß niemals abgeschaltet. Irgendwie schafft sie es, die Panik zu bezwingen und sich anzutreiben. Jeder Meter kostet jetzt Überwindung. Als der Kriechstollen in einen breiteren Gang mündet, ist sie kurz davor, in Jubel auszubrechen. Aber dann sieht sie ein Papiertaschentuch auf dem Boden. Wie kann das angehen? Sie muss rückwärts gekrochen sein. Oder hat sie eine weitere Abzweigung genommen, ohne es zu bemerken?
    »Nein.« Sie lässt sich mit dem Rücken an der Wand hinabgleiten, bis sie mit dem Hintern auf dem harten Boden landet. Dort bleibt sie sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben, und schluchzt. Eigentlich ist es eine Mischung aus Schluchzen und Schreien. Wutgeschrei. Sie muss daran denken, wie Birger sie gefragt hat, worin sie besonders gut sei, und sie darauf antwortete: Geige spielen. Wie recht sie hatte. Außer zum Geigespielen ist sie wahrhaftig zu nichts zu gebrauchen.
    Janne ist so sehr mit der eigenen Verzweiflung beschäftigt, dass sie die hallenden Schritte erst wahrnimmt, als es zum Weglaufen bereits zu spät ist. Sie steht auf und zückt die Pistole. Der Lichtkegel einer erheblich stärkeren Taschenlampe huscht über den Boden.
    »Achtung, ich schieße«, ruft sie.
    Das Lachen des Spirituosenhändlers hallt durch den Stollen.
     
    Er kann sich kaum beruhigen. Janne wartet ab. Nach seinem Heiterkeitsausbruch erklärt sich der Mann bereit, ihr den Ausweg aus dem Labyrinth zu zeigen. Allerdings

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