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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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nach drinnen. Ein ansprechendes Hotel, vier Sterne, modernes Interieur. Am Empfang sitzt ein Mädchen mit einem »Ich lerne noch«-Anstecker und löst ein Kreuzworträtsel. Sehr weit ist sie dabei nicht gekommen, weshalb sie die Unterbrechung mit einem mürrischen Blick quittiert. Der Spirituosenhändler reibt Regentropfen von seinen Brillengläsern. Beim Einchecken bleibt er neben Janne stehen. Das ist ihr zwar nicht recht, doch sie weiß nicht, wie sie ihn loswerden soll, ohne Aufsehen zu erregen. Sie findet ihn zwielichtig. Er besteht darauf, ihr die Tasche bis vor die Zimmertür zu tragen. Als sie die Chipkarte einführen will, zittern ihre Hände dermaßen, dass sie auf den Boden fällt. Er hebt sie auf.
    »Nervös?«, fragt er und steckt die Karte in den Schlitz. Das Lämpchen springt auf Grün.
    »Ich möchte Sie bitten, jetzt zu gehen«, sagt Janne mit dünner Stimme, worauf er schon wieder in Lachen ausbricht. Offenbar findet er ihre gesamte Erscheinung ungemein lustig.
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragt Janne.
    »Falsche Frage, Mädchen. Die richtige Frage ist, warum du auf Helgoland aufkreuzt und in alten Wunden stocherst?« Er gibt ihr die Chipkarte zurück.
    »Wieso Wunden? Die Helgoländer hatten mit der Tyne doch gar nichts zu tun ... na ja, außer dass der Tote ursprünglich von der Insel stammte.«
    »Siehst du, da hast du es. Wir sind so wenige, da zählt jedes einzelne Leben. Und jetzt wärmst du so traurige alte Geschichten auf. Muss das sein?«
    »Ja, das muss sein«, antwortet Janne. Das Lämpchen ist zurück auf Rot gesprungen, also muss sie die Karte erneut einführen, was ihr diesmal ohne Schwierigkeiten gelingt. Sie drückt die Klinke. »Und wenn Sie mir nichts darüber erzählen können oder wollen, dann lassen Sie mich bitte in Ruhe«, sagt sie und schlägt ihm die Tür vor der Nase zu, was er mit lautem Lachen quittiert.
     
    An Schlaf ist nicht zu denken. Janne hat trockene Sachen angezogen. Der Schlafanzug, in den die Pistole eingewickelt ist, liegt wie ein rosafarbenes Haustier neben ihr auf dem Bett. Sie hat versucht, Nils anzurufen, aber er ist nicht an sein Handy gegangen und in der Wohnung hat sie nur Amanda erreicht. Seit ihrem letzten Treffen hatten sie keinen Kontakt.
    Weil sie friert, trägt Janne zwei Pullover übereinander. Die Schreibtischlampe brennt. Draußen heult der Wind. Sie sitzt aufrecht unter der Decke und starrt abwechselnd zum gardinenverhangenenPanoramafenster und zur Tür, die fest verriegelt ist. Sie hat einen Stuhl so davorgestellt, dass er die Klinke blockiert. Das hofft sie zumindest, sie kann es ja nicht vom Flur aus testen. Als sie Hunger bekommt, will sie in alter Gewohnheit den Zimmerservice anfordern, doch noch bevor das Freizeichen ertönt, legt sie auf und begnügt sich mit den Keksen von Mäuschen Hansen. Sie schmecken intensiv nach Vanillezucker und unterschwellig nach Putzmittel. Einmal geht sie zur Toilette, das rosafarbene Bündel im Arm, und ein zufälliger Blick in den Spiegel verrät ihr, warum der Spirituosenhändler sie für eine Schießbudenfigur hält.
     
    Janne schreckt auf. Sie muss eingeschlafen sein. Der Wind wütet nicht mehr, und durch einen Spalt zwischen den Gardinen fällt ein breiter Sonnenstrahl auf ihre Bettdecke. Verschwommene Bilder eines Albtraums geistern durch ihren Kopf, und sie reibt sich die Augen, schaut auf die Uhr. Schon nach zehn.
    Von einem diffusen Schuldgefühl getrieben, springt sie aus dem Bett und zieht die Gardinen zurück. Grelles Tageslicht flutet durch das Hotelzimmer und erfasst jedes Detail: den Stuhl unter der Klinke, das Schlafanzugbündel, die Kekskrümel und die Kleidung, die sie am Vortag getragen und achtlos auf den dunklen Laminatboden geworfen hat.
    Janne hat Halsschmerzen, die ihr vor allem beim Schlucken zu schaffen machen. Sie betritt den Balkon. Das Unwetter hat sich so schnell gelegt, wie es gekommen ist. Blauer Himmel. Auf der Nordsee tanzen Schaumkronen. Es ist ein herrlicher Tag. Milde, reine Luft, gewiss mehr als zehn Grad plus. Auf der Promenade flanieren die ersten Touristen, die bunten Winterjacken geöffnet. Möwengelächter.
    Sie überwindet sich, den Frühstücksraum aufzusuchen, wo sie drei Tassen Kaffee trinkt und ein wenig Müsli mit Obst verspeist.
    Unter den Gästen stellt sie in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung dar: Sie ist als Einzige unter sechzig, sitzt als Einzige allein am Tisch und ist die Einzige, die ihren Rucksack die ganze Zeit auf dem

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