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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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steht halb verdeckt dicht neben einer dicken Frau, Janne sieht ihn nur von der Seite, aber er kommt ihr bekannt vor. Der Reiter aus dem Watt? Oder nur ein Fremder mit Kapuze? Sie blickt weiter um sich. Viele Spaziergänger tragen Kopfbedeckungen: Mützen, Kapuzen. Es ist Herbst.
    Das Lied endet, und eine Keglerin zupft Janne am Ärmel: »Zum Schluss haben Sie ganz schief gesungen. Sind Sie nicht gut zuwege?«
    Janne schüttelt den Kopf. Einer Eingebung folgend, deutet sie auf die Gruppe mit dem Kapuzenmann: »Sehen Sie die Leute dort hinten? Der Mann im Parka ist mein Exfreund. Er kann einfach nicht akzeptieren, dass Schluss ist, und verfolgt mich seit Wochen.«
    Die Keglerin hält sich die Hand vor den Mund. »Nein. Doch nicht etwa ein Stalker? Darüber gab es einen Bericht im Fernsehen.«
    »So in der Art. Langsam habe ich echt die Nase voll. Könnten Sie und Ihre Freunde ihn kurz ablenken, damit ich mich unauffällig absetzen kann?«
    Die alte Dame zögert. »Ist er gewalttätig?«
    »Nein.«
    Flüsternd beratschlagen die Kegler, was zu tun ist, und kommen ein weiteres Mal zum Schluss, ihr zu helfen - ohne Abstimmung. Eine liebenswürdige Seniorentruppe. Nicht ohne Reue bleibt Janne zurück.
    Als die beiden Gruppen auf Höhe der Nordspitze aufeinandertreffen, verliert Janne den Kapuzenträger aus den Augen. Angestrengt hält sie Ausschau - ohne Erfolg. Er ist verschwunden.
    »Verdammt.«
    Das Felsplateau des Oberlandes ist hier, wo keine Häuser stehen, voller Krater und Bombentrichter, die von Gras und Gebüsch überwuchert sind. Viele Möglichkeiten, sich zu verbergen. Janne beschließt, auf dem Weg zu bleiben, der immerhin belebt ist. Dann entdeckt sie den Mann ein gutes Stück weiter südlich. Jetzt hat sie keinen Zweifel mehr, dass es sich um ihren Verfolger handelt, den Reiter. Sie spürt es. Er hat vor, ihr den Rückweg abzuschneiden. Sie will zur Gruppe aufschließen, doch die ist ziemlich weit entfernt. Der Reiter beginnt zu laufen. Direkt auf sie zu.
    Sie hätte um Hilfe rufen können. Sie hätte versuchen können, sich zu verstecken. Sie hätte zur Nordspitze rennen können. Vieles wäre erheblich schlauer gewesen als der Ausweg, für den sie sich innerhalb der Sekunden, die ihr zum Handeln bleiben, entscheidet. Das begreift sie zwar recht früh, aber leider nicht früh genug.
    Janne übersteigt den Zaun am Klippenrand und klettert abwärts. Keine zehn Meter unterhalb des Weges befindet sich eine Höhle im Felsen, das hat sie während des letzten Stopps mit den Keglern gesehen. Sie hofft, dass es sich um das Ende eines Stollens handelt. Wenn nicht, ist sie so gut wie tot - und auch noch selber schuld daran.
    Früher scheint ein in den Fels geschlagener Trampelpfad von der Höhle zum Klippenrandweg geführt zu haben. Doch was Tausende Tonnen Sprengstoff nicht vollbracht haben, besorgen Kälte, Wind und Wasser mit der Beharrlichkeit der Elemente: Sie radieren die Insel aus, Stück für Stück. So verwittert die Steilküste allmählich, und der schmale Steig bröckelt, ist teilweise schon abgestürzt. Jannes Hände suchen Halt in Spalten und an Vorsprüngen, unter ihr das Meer. Gesteinsbrocken lösen sich und poltern in die Tiefe. Sie kann hören, wie sie auf dem Wasser aufschlagen, einige landen auch auf dem Verwitterungsschutt am Sockel der Klippen. Ein Himmelfahrtskommando. Zum Umkehren ist es zu spät.
    Janne hat die Höhle beinahe erreicht, da trifft ein Stein hart ihre Schulter, und sie gerät ins Wanken. Sie sieht nach oben. Ein weiterer Stein, deutlich größer, verfehlt sie knapp. Kegelfreunde, wo steckt ihr?
    Endlich der Eingang zum Stollen, mit Geröll und Draht versperrt. Mit bloßen Händen räumt sie den Weg frei, während ein Steingewitter auf sie niederprasselt. Außer einigen Splittern bekommt sie nichts ab. Das Heilige Land schützt ihr Haupt mit einem Felsvorsprung.
    Als der Durchlass groß genug ist, um sie aufzunehmen, klettert sie ins schwarze Nichts, schnallt ihren Rucksack vom Rücken und entnimmt ihm die Walther sowie eine Taschenlampe. Sie hatte ja durchaus vor, das Tunnellabyrinth zu erkunden, nur unter weniger dramatischen Umständen.
    Der Steinschlag hat aufgehört.
    »Hör mir zu«, brüllt sie nach oben. »Ich bin bewaffnet und bereit zu schießen. Wenn du versuchst, mir zu folgen, knall ich dich ab.« Es klingt ernst gemeint, und das ist es auch. Um zu demonstrieren, dass sie nicht blufft, feuert sie einen Schuss in Richtung Meer. Zwar riskiert sie damit, Unbeteiligte auf

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