Blaufeuer
eure Geduld.«
Gefolgt von Gabi Bremer, kehrt sie zurück in Eriks Büro. Der Husten ist schlimmer geworden, was bei der Sekretärin eindeutig Muttergefühle weckt. Sie versorgt sie mit heißer Zitrone und guten Ratschlägen, in denen seltene Obstsorten, Pflanzenextrakte und irgendwelche homöopathischen Kügelchen eine Rolle spielen. Als sie Jannes Handtasche vom Schreibtisch heben will, um Platz für den dampfenden Becher zu machen, stöhnt sie auf. »Die ist aber schwer. Was tragen Sie denn bloß mit sich herum?«
Janne antwortet nicht. Obwohl es einen gewissen Reiz hätte, Gabi Bremers Reaktion auf das Wort 9-Millimeter-Pistole zu testen.
»Also, Janne, falls ich mir diese Bemerkung erlauben darf: Ich bin stolz auf Sie. Ihr Auftritt eben, der hatte Format. Sie haben genau den richtigen Ton getroffen«, sagt die Sekretärin mit rauer Stimme. »Ich wette, morgen sind die meisten Kündigungen wie durch Zauberhand von Ihrem Schreibtisch verschwunden. Sicher nicht alle, aber die meisten.«
Janne nippt an ihrem Getränk. »Danke vielmals. Leider wird unser technologischer Vorsprung mit der Zeit schrumpfen, unddann haben wir keinen Erik, der uns ein neues Zauberboot konstruieren und die Konkurrenz in Schach halten kann.«
»Das dauert mindestens fünf Jahre, bis die anderen Werften uns eingeholt haben. Wer weiß, was bis dahin geschieht. Im Moment sind wir doch froh, wenn wir die nächsten sechs Monate heil überstehen. Alles Weitere wird sich fügen. Kopf hoch, Janne. Mich haben Sie überzeugt, ich bin jetzt wieder optimistisch. Vergessen Sie mein Gerede von vorhin.«
Janne muss lächeln. Sie ist unentschlossen, ob sie selbst das Gerede von Gabi Bremer oder ihr eigenes überzeugender fand, doch es ist wohltuend, eine Verbündete zu haben. »Haben Sie eigentlich auch erwogen zu kündigen?«, will sie wissen.
Gabi Bremer schüttelt energisch den Kopf. »Was denken Sie von mir? Ich war von Anfang an dabei, habe sogar schon in der alten Firma Ihres Vaters in Hamburg gearbeitet. Nein, Janne, ich bleibe, bis das Licht ausgeht.«
»Diese Importfirma in Hamburg, womit hat die eigentlich Handel betrieben?«
»Das wissen Sie nicht?« Gabi Bremer lacht auf, danach verzieht sie angewidert das Gesicht. »Wir haben Naturdärme aus Afghanistan importiert, hauptsächlich Schafsdärme. Saitlinge für Knackwürste. Die kamen in Heringsfässern im Freihafen an, und das Spülen mussten die Arbeiter in den Sortieranstalten besorgen. Ich kann Ihnen sagen, das stank sprichwörtlich zum Himmel. Aber die Nachfrage stimmte, die Gewinne waren für damalige Verhältnisse astronomisch. Bis zu zehntausend Dollar wurden pro Fass gezahlt. Und darum ging es Paul. Möglichst schnell möglichst viel Geld zu machen, um den Laden wieder abstoßen zu können.«
Janne trinkt den Becher leer, inhaliert den frischen Duft der Zitrone. Naturdärme also, pfui Teufel. Darüber wurde im Hause Flecker nie gesprochen. Sie sieht ihren Vater vor sich: jung, mittellosund besessen von dem Wunsch, zu Geld und Ansehen zu kommen. Nicht der Mangel selbst, sondern das Gefühl der Demütigung scheint für ihn das Schlimmste an der Armut gewesen zu sein. Deswegen wollte er auch nicht sein Leben lang mit Därmen handeln, obwohl er damit vielleicht genauso reich oder noch reicher hätte werden können. Sie wischt den Gedanken weg. »Lassen Sie uns über Birger reden«, bittet sie.
»Wozu? Wir kommen schon ohne den alten Zossen klar«, frotzelt die Sekretärin, als wäre sie höchstens Anfang zwanzig und hätte das Leben noch vor sich.
Janne muss lächeln. »Ich will auf etwas anderes hinaus. Sie haben ihm neulich einen Camcorder geliehen. Was war darauf zu sehen?«
Gabi Bremer schluckt schwer und starrt auf ihre rosa lackierten Fingernägel.
»Frau Bremer, bitte.« »Die Trauerfeier für Erik.«
Janne nickt. Das hat sie erwartet. Es könnte also Birger gewesen sein, der sie am Deich mit dem Ave-Maria erschreckt hat. Seine Balkontür stand offen.
Gabi Bremer nimmt zu Recht an, dass Janne den Austausch von Beerdigungsvideos für geschmacklos hält, und beginnt, sich wortreich zu rechtfertigen, bis Janne sie unterbricht.
»Vergessen Sie das jetzt. Ich will wissen, ob es stimmt, dass er in all den Jahren fast kein Gehalt bezogen hat.«
»Ja, das stimmt. Aber das hat seine Gründe.« Gabi Bremer räuspert sich. »Es war besser für ihn. Das hat er irgendwann auch selbst eingesehen, zumal er nie mittellos dastand. Sobald er etwas haben wollte, egal ob ein Auto
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