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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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reglos an ihrem Schreibtisch sitzt und in die Luft starrt. Als sie Janne sieht, seufzt sie nur.
    »Was ist los?«
    Erneutes Seufzen.
    »Frau Bremer, ich habe gefragt, was los ist«, insistiert Janneund hängt ihre Jacke neben das vergessene Sakko ihres Vaters an die Garderobe.
    Gabi Bremer holt tief Luft, aber diesmal setzt sie, anstatt zu seufzen, zu einer Antwort an: »Glauben Sie allen Ernstes, dass Licht und Schatten sich im Großen und Ganzen die Waage halten? Mir kann das keiner mehr weismachen. Wo es doch so viel einfacher ist zu zerstören, als etwas zu erschaffen.«
    Janne stutzt. Gabi Bremers grüblerische Seite ist ihr bislang verborgen geblieben. Sie betrachtet die Sekretärin, das dezente Make-up, die perfekt gebügelte Bluse, dann blickt sie aus dem Fenster. Die unausgewogene Welt zerfließt, das Wasser im Hafenbecken ist vom harten Regen so aufgewühlt, als würden Steine vom Himmel fallen.
    »Versuchen Sie gerade, mir auf originelle Art mitzuteilen, dass die Werft am Ende ist?«, fragt Janne.
    »Fünfunddreißig Jahre, und ich war vom ersten Tag an dabei. In den vergangenen Jahren haben wir Rekordgewinne eingefahren. Und jetzt geht alles in wenigen Monaten zugrunde.«
    Janne merkt, wie ihre Knie weich werden, und sie lässt sich auf einen Stuhl fallen. So schnell? Aus einem gesunden Unternehmen kann doch nicht innerhalb so kurzer Zeit ein hoffnungsloser Fall werden.
    »Schauen Sie mal auf Ihren Schreibtisch. Vierzehn Kündigungen in zwei Tagen, zehn Leute davon wechseln zu Jörgensen. Mich wollte er auch schon abwerben. Als Nächstes wird er Ihnen ein Kaufangebot vorlegen, Janne. Und ein Auftrag für eine Yacht aus der Nordic-Reihe wurde storniert.«
    »Was sagt Birger Harms dazu?«, will Janne wissen.
    »Birger ist weg. Das ist es ja. Auf und davon. Seit drei Tagen. Ich habe versucht, Sie zu erreichen, aber Sie gehen nie an Ihr Mobiltelefon, und Sie rufen nicht zurück. Wie Erik, der war ganz genauso.«
    Janne könnte sich ohrfeigen. Sie hat die Nummer der Sekretärin auf dem Display gesehen und absichtlich nicht reagiert. »Hat Birger gesagt, dass er geht? Wissen Sie, wo er ist?«
    »Nein, er ist verschwunden. Und er hat sich nicht bei mir abgemeldet.«
    Janne reibt sich mit der Handfläche über die heiße Stirn, ringt verzweifelt um Konzentration. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
    »Natürlich.«
    »Besorgen Sie mir eine Packung Aspirin. Und berufen Sie eine Versammlung der Belegschaft ein. In einer Stunde. Halle C.«
     
    Dreißig Grad. Dazu das Prasseln des Regens auf dem Hallendach. Hundertfünfzig Mitarbeiter drängen sich schwitzend zwischen Bootsrümpfen in der Halle, in der es in wenigen Stunden noch viel heißer sein wird, nämlich bis zu fünfundachtzig Grad. Hier werden ultraleichte Neigekiel-Yachten gebacken. Aus Kohlefaser und Epoxid, einem Harz, das erst unter Hitzeeinwirkung zu fließen beginnt. Lautes Stimmengewirr. Janne steigt auf eine Trittleiter und verschafft sich mit einem Pfiff Gehör.
    »Danke, dass ihr gekommen seid. Bitte gebt mir fünf Minuten. Ich habe gehört, ihr habt Angst vor der Zukunft. Das kann ich verstehen. Ich habe euch hierher gebeten, damit ihr euer Bild von der Zukunft auffrischen könnt. Ich will euch nichts über Boote erzählen, davon versteht ihr sowieso mehr als ich. Ihr wisst, was ihr hier vor euch seht: die radikalste Interpretation des modernen Bootes. Den weltschnellsten Cruiser. Die Fachpresse hat sich überschlagen, als mein Bruder Erik im Frühjahr seine Konstruktion der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Wir sind dabei, acht von diesen Booten zu bauen, und unsere Auftragsbücher sind voll, es gibt Wartelisten. All die superreichen Freizeitskipper wollen es haben, wollen es unbedingt, dieses neue Superboot, für daswir, nur wir, die Pläne, die Rechte und das Know-how haben. Und wir werden es liefern. Das ist unser Kapital. Erik ist tot, aber sein Werk lebt. Die Zukunft des Yachtbaus gehört seinen Ideen. Mit eurer Hilfe oder ohne. Niemals würde ich sein geistiges Eigentum verkaufen, weder für teures Geld noch zum Schleuderpreis, nur zu eurer Information. Auf meinem Schreibtisch liegen einige Kündigungen. Die werde ich aber erst morgen öffnen. Und mein Büro ist nach Feierabend nicht abgeschlossen. Sollte also jemand zur Überzeugung gelangen, einen Fehler gemacht zu haben ... Aber wer lieber Rettungsboote bauen möchte, den halte ich nicht auf. Ein höchst ehrenwertes Unterfangen. Okay, das war's, ziemlich heiß hier drin. Danke für

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