Blaulicht
Für heute sind wir am Ende angelangt.«
*
»So, zweimal ein Bier, die Herren! Und für den Herrn Neumann noch einen doppelten Willi. Gscheit schwül is heut, gell? Da braucht’s viel Flüssigkeit.«
Die Lindauer Wirtin im feschen Dirndl hat die Gläser auf den Tisch gestellt, an dem Siegfried Gloßner mit einem reichlich angeschlagenen Feriengast im Schatten sitzt und über das gerade gesehene phänomenale Spiel fachsimpelt. Genau genommen fachsimpelt Gloßner, sein Gegenüber beschränkt sich auf Sätze wie:
»Wird Zeit, dat der Wetterjott da oben ma in die Jänge kommt, wa? Man kann jarnich so schnell schlucken, wie dat Janze vadunstet – Provovitsch!«
Gloßner prostet Kalle Neumann mit seinem ersten Haberlbräu an diesem Tag zu. Während des Spiels, das sie im Gastraum der Wirtschaft verfolgt hatten, war er lieber auf Apfelschorle ausgewichen.
Neumann macht genau wie er schon seit Jahren Urlaub im Schönseer Land, ist aber deutlich mehr als Gloßner an den Vorzügen der Oberpfälzer Brau- und Brennkunst als an der Schönheit der Landschaft interessiert. Nach der fünften Halben hatte Gloßner aufgehört mitzuzählen. Wenn man aber berücksichtigt, dass diese ersten fünf, begleitet von diversen Obstschnäpsen, bereits innerhalb der ersten Halbzeit durch Kalles durstige Kehle gerauscht waren, dürfte sich dessen Blutgehalt im Alkohol allmählich auf die Nullgrenze zubewegen. Tatsächlich dauert es exakt fünf Minuten an der kräftigen Oberpfälzer Luft, bis Kalle selig schnarchend auf der Holzbank eingeschlafen ist. Na super!
Nach all den stressigen Wochen und Monaten im Job genießt Gloßner die Ruhe in Lindau in vollen Zügen. Die Tage reihen sich so gleichmäßig aneinander wie Baldrianperlen in einer Blisterpackung. Es ist schön, wieder mal auf den Boden zu kommen, zu merken, dass die Welt auch ohne Telefone und Computer funktioniert, ohne Verkehrschaos und Parkplatzsuche, ohne Hektik und Gewalt. Verdammt schade, dass Kascha so schnell wieder verschwunden ist, er hatte sich auf ein ganz klein bisschen Kommunikation gefreut; und – na ja, was ist denn schon dabei: er hatte sich auf sie gefreut. Ob sie mit dem dringenden Notfall vorankommt, wegen dem Mattusch sie aus ihrem Kurzurlaub gerissen hatte? Es ist Samstagabend, da ticken auch in Nürnberg die Uhren im Wochenendtakt, sie wird schließlich nicht rund um die Uhr bei ihrer Patientin sein, und falls sie doch keine Zeit haben sollte, oder irgendwie genervt wirkte, könnte man immer noch auflegen, oder? Es ist schließlich nichts dabei, sich zu erkundigen, wie es einer Freundin geht. Im Gegenteil, das ist vollkommen normal. Ehe er sich’s versieht, steht er vor dem Münzfernsprecher im Windfang der Wirtschaft und wählt, ohne den Zweifeln in seinem Kopf noch mehr Gewicht beizumessen, Kaschas Nummer. Es dauert eine Weile, bis der Hörer abgenommen wird und eine müde Stimme sich mit »Halbritter« meldet.
*
Als Zoe gegen drei viertel sieben die Tür zum Wohngemeinschaftsreich aufgesperrt und ihr Zimmer betreten hatte, musste sie wieder mal feststellen, dass auch heute keine Heinzelmännchen am Werk gewesen waren, um die aufgestapelten Bretter und Leisten zu einem Regal zusammenzufügen, die Bücher aus den Umzugskartons einzusortieren, den Klamottenhaufen in der Ecke in Kommode und Kleiderschrank zu verstauen und die Stereoanlage anzuschließen. In der Wohnküche wiederum scheint ein ausgedehnter Brunch mit Gästen stattgefunden zu haben, bevor alle zum Public Viewing ausgeflogen waren. Eine Weile hatte sie einfach nur auf der Kücheneckbank vor sich hingestiert und dem Rauschen des Blutes in ihren Ohren gelauscht.
Jetzt packt sie zwei Bierflaschen aus ihrem Rucksack und legt sie in das Gefrierfach. An der Kühlschranktür leuchtet neongelb eine Haftnotiz: Hallo Zoe, wir sind im Schanze-Biergarten. Komm doch nach, wir freuen uns! Ihr Blick fällt auf den WG-Putzplan – angeblich ist sie heute mit der Küche dran. Hat sie hier seit ihrem Einzug überhaupt schon einmal etwas zu sich genommen außer den hastigen Kaffees und Fruchtjoghurts am Morgen? Das Leben scheint momentan nur noch aus Baustellen zu bestehen.
Auf dem Heimweg hatte sie noch versucht, ihre Rolle für heute abzustreifen und in eine andere zu schlüpfen. Der ganze Plärrer hatte sich in eine Partymeile verwandelt, und also hatte Zoe mit dem verbissenen Entschluss, sich von der Feierlaune anstecken zu lassen, zum zweiten Mal an diesem Tag den Supermarkt
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