Blaulicht
Dezernat blicken lassen soll, doch eine ungute Ahnung treibt ihn zu Milan. Ein paarmal hat er versucht, ihn zu erreichen, war aber jedes Mal nur an dessen Mailbox geraten – ungewöhnlich, stundenlang nicht erreichbar zu sein, selbst für so einen Chaoten.
Als er die Ludwigstraße überquert, die sich vorübergehend in eine brasilianisch geprägte, grün-gelb-blaue Fanmeile verwandelt hat, sticht ihm eine Politesse ins Auge, die gerade dabei ist, Knöllchen an Falschparker zu verteilen, und sofort muss er wieder an diese verfluchten tschechischen Raubritter denken. Die fünfhundert Kronen wird er sich von der Dienststelle in Pilsen zurückholen, da kann die Simaková Gift drauf nehmen. Die umgerechnet knapp zwanzig Euro kann er wegstecken, nicht aber das Gefühl, wie ein Idiot behandelt zu werden – weder von diesen Straßenräubern in Uniform noch von dieser …
»Genug ist genug!« liest er auf einem violetten Plakat, das im Fenster einer Shisha-Bar hängt, und unwillkürlich hält er inne. Aber was schreiben die da? »85 % der Gastronomie sind bereits rauchfrei … Nichtraucherschutz ist gewährleistet … genug der Verbote … Nein beim Volksentscheid!« Kurz entschlossen betritt er die Bar. Hinterm Tresen steht eine Art türkischer Winnetou und sortiert Gläser ein, und in einem Eck fläzen sich ein paar Jugendliche um eine Wasserpfeife.
»Bitteschön?«
»Das Plakat da draußen!« schnaubt Kalz. »Sie haben sie doch wohl nicht mehr alle! Wollen Sie diese Suchtkranken da weiterhin an ihrem Gift verrecken lassen?«
»Im Orient hat sich noch keiner vergiftet an einer Wasserpfeife. Hat lange Tradition.«
»Tradition? Ich nenne das Mord auf Raten! Gott sei Dank haben wir übermorgen den Volksentscheid. Dann können auch normale Menschen wieder in Kneipen gehen.«
»Ich freue mich schon auf Ihren Besuch«, sagt der Wirt todernst. »Aber für heute war er lang genug. – Mehmet abi, gelir misin? Bu bay gitmek istiyor!«
Schon hat sich neben Kalz ein Typ aufgebaut, neben dem selbst mancher Möbelpacker ein klägliches Bild abgeben würde.
Fünfzig Meter weiter, am Marktkauf -Eck, fährt ihn ein Radfahrer fast über den Haufen und pflaumt ihn auch noch an, zeigt ihm den Mittelfinger, bevor er Richtung Kali verschwindet. Kalz bekommt vor Wut einen roten Kopf und ganz kurz das sichere Gefühl, auf der Stelle jemanden umbringen zu müssen. Diesen Radfahrer, die beiden tschechischen Autobahngangster, den türkischen Tabakmörder oder wenigstens die Stadtplaner, die diese verfluchte Verkehrsführung am Plärrer verbockt haben. Und die Simaková? Sollte er die jemals wieder treffen, wird er was ganz anderes mit ihr machen, aber im Moment ist sogar ihm zu heiß, um sich die Einzelheiten auszumalen. Außerdem ist seine Kondition sowieso schon leicht angeschlagen, wegen der Biere, die dieses Luder ihm gestern aufgeschwatzt hat, und übermorgen ist der Marathon. Hoffentlich hat Monika dieses Mal die richtigen Trikots gewaschen und alles vorbereitet, damit sie morgen nach Wegberg aufbrechen können – er hätte sie vielleicht doch von Pilsen aus anrufen sollen, aber er hatte einfach keine Lust auf Diskussionen gehabt, und die wären mit Sicherheit gekommen. Früher fand Monika es geil, einen Mann zu haben, der bei der Mordkommission ist. Irgendwann hat das dann aufgehört, und sie wollte nur noch, dass er sich versetzen lässt. Hängt vielleicht mit den Kindern zusammen, da werden Frauen ja schnell zu Hausmütterchen, nörgeln ewig an einem herum und verlangen Antworten, die sie ganz bestimmt nicht hören wollen. Denn mal ganz ehrlich, wenn er sich entscheiden müsste, was ihm wichtiger ist, Monika und die Kinder oder die Karriere – keine Frage! Bei der Karriere geht wenigstens noch mal was nach oben. Kalz verzieht den Mund zu einem schmalen Grinsen und schiebt seine Einlasskarte in den Schlitz neben der Tür mit der Hausnummer 31. Ein paar Stufen höher und ein paar Gänge weiter steht er in einem Büro, das ihn in den letzten Wochen öfter gesehen hat als sein eigenes.
Milan Zahorka liegt, die Arme unter dem Kopf verschränkt, auf dem Boden und hat die Füße auf einen Schreibtischsessel gelegt. Neben ihm bläst ein Ventilator auf höchster Stufe, sodass ihm die strähnigen Haare wirr ums Gesicht flattern und ihn aussehen lassen wie einen zerrupften Kakadu, der vom Baum gefallen ist.
»Na, Manni, alte Wurschthaut! Wieder im Lande?«
»Ich hab zwar keine Ahnung, wie du immer auf Manni kommst, du
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