Blaulicht
mir also sehr schnell etwas einfallen lassen müssen, denn an Wunder glaube ich leider nicht. Was haben Sie denn in dem Studio über Wolfgang Gerlach herausgefunden?«
Auf der Leinwand, die extra zur Fußballweltmeisterschaft an der Seitenwand des Cafés angebracht worden ist, sieht man die Nationalmannschaften von Ghana und Uruguay. Zwei penibel ausgerichtete Reihen von Männern in nagelneuen, knitterfreien Trikots, die mit staatstragender Miene die Hymnen ihrer Heimatländer singen. Helden des Sports, Idole unzähliger Fans, Vorbilder für Millionen von Kindern und Jugendlichen auf der ganzen Welt – Sportsmänner, Saubermänner. Aber eben auch nur Menschen mit einer hellen, strahlenden Außenseite und einer dunklen, verborgenen, die sie niemandem offenbaren und manchmal nicht einmal wissen, dass so eine Seite überhaupt in ihnen schlummert.
»Ich bewundere diese Frauen«, sagt Zoe ernst und bestellt bei der Bedienung nun auch ein Glas Weißwein. »Es ist ungeheuer, was sie leisten, und ich mag mir lieber nicht vorstellen, wie es hier sehr bald aussähe, wenn es sie nicht gäbe.«
Kascha nickt zustimmend. Am Gesichtsausdruck ihrer Tischnachbarin kann sie erkennen, dass diese heute eine einschneidende Erfahrung gemacht hat, die ihre Weltsicht mit Sicherheit verändert hat, und sie ahnt, dass Wolfgang Gerlach dabei eine entscheidende Rolle spielt – weshalb sonst hätte sich eine professionelle Sexarbeiterin seinetwegen an die Kripo gewandt.
»Was war damals mit Wolfgang Gerlach?« wiederholt sie deshalb ihre Frage, aber erst nachdem Zoe ihr Weinglas mit großen Schlucken bis zur Hälfte geleert hat, erhält sie eine Antwort. Am Anfang sei es wohl nur um Fesselspiele gegangen, um Bondage, eine bei gar nicht so wenigen Menschen beliebte Stimulationstechnik und so etwas wie die hohe Schule in SM-Studios, deshalb auch entsprechend teuer. Aus diesem Grund sei Gerlach zunächst auch ein gern gesehener Kunde gewesen, obwohl er selbst dort als schräger Sonderling galt – er hatte offenbar lange gesucht, bevor er sich für genau dieses Studio entschied und sein Auswahlkriterium war, dass wenigstens eine der Frauen dort ein Instrument, am besten ein Streichinstrument, beherrschen musste.
»Das ist in diesem Zusammenhang zwar etwas ungewöhnlich, aber nichts Verwerfliches«, wundert sich die Psychologin. Zoe trinkt ihren restlichen Wein in einem Zug und verschluckt sich fürchterlich. Nachdem sich der Hustenanfall gelegt hat, fährt sie fort zu erzählen.
Bei den ersten Besuchen von Gerlach hatte er sich damit begnügt, Jana von Cleo fesseln zu lassen, auf welche Weise genau und welche Stellung Jana dabei einnehmen musste, war Zoe zwar detailliert erklärt worden, aber es war ihr schlichtweg zu peinlich, jetzt darüber zu sprechen, deshalb belässt sie es bei einem knappen »entblößend und unbequem«. In dieser Stellung habe sie dann spielen müssen und zwar die Stücke, die Gerlach von ihr hören wollte, die Noten dafür habe er immer zwei Wochen vorher vorbeigebracht. Später sei das Spiel dann variiert worden. Jedes Mal wenn sie einen Fehler machte, hatte Gerlach darauf bestanden, die Fesselungen verstärken zu lassen – schon zu diesem Zeitpunkt, gab es erste Auseinandersetzungen zwischen Gerlach und den beiden Frauen, die sich eine Weile aber noch durch Geld ausbügeln ließen. Aber es ging immer weiter.
Zoe unterbricht ihre Schilderung, um zwei weitere Gläser Wein zu bestellen. Kascha hat aufmerksam zugehört, und die zwei senkrechten Falten zwischen ihren Augenbrauen haben sich dabei merklich vertieft. Sie spürt, dass es der Ermittlerin schwerfällt, weiterzuerzählen. Deshalb drängt sie die junge Frau auch nicht und wartet, bis die zwei Gläser vor ihnen auf dem Tisch stehen, bevor sie nachhakt.
»Wie ging es weiter, Zoe?«
Zoe schweigt einen langen Moment, bevor sie antwortet, und in ihrer Stimme halten sich Wut und Ekel die Balance.
»Mit Cellosaiten. Es sollte mit Cellosaiten weitergehen. Er wollte, so hat er das ausgedrückt, auf ihr spielen . Und so wie er es wollte, hätte Jana das nicht lange überlebt.«
*
Einer, den ich traf, ist einmal Wanjuschka gewesen. Den haben seine Brüder erschlagen und im Wald verscharrt, weil er es war, der den Eber erschoss, der jede Nacht kam und von den goldenen Äpfeln im Garten aß. Dort, wo sie Wanjuschka verscharrten, wuchs ein Schneeballstrauch, und eines Tages kam ein Gutsherr, schnitt ihn ab und schnitzte sich eine Flöte daraus. Als
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