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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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damals auf meinem Maggini-Cello das Praeludium der C-Dur-Suite gespielt hast – der Vollkommenheit so nah! Natürlich sind Dir ein paar kleine Fehler unterlaufen, aber ich habe das Instrument noch nie so singen hören wie unter Deinen Händen. Dafür sind sie geschaffen – nicht dafür, ein Messer zu führen.
     
    Das Stechen in der Herzgegend geht nicht weg.
    »Natürlich geben wir Ihnen Medikamente, die Ihr Herz-Kreislauf-System stabilisieren. Aber Ihr Körper muss mit einem Schock fertig werden. Das geschieht in unberechenbaren Wellenbewegungen, die sich nicht vollständig auffangen lassen. Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Sie sind außer Gefahr.«
    Und da geht er wieder vom dritten Stock in den Keller, holt wieder sein Fahrrad aus dem Gemeinschaftsraum, tritt wieder vom kühlen Hausflur in die sengende Sonne, und wieder dauert es, bis seine Augen sich an das Licht gewöhnt haben, und wieder stürzt aus dem Licht die schmale schwarze Gestalt hervor, wieder wächst ihr eine Klinge aus der Hand, die auf ihn losrast, und diesmal wird ihm das Messer direkt ins Herz gerammt.
    Gerlach legt sich aufs Bett und drückt den Rufknopf.
    Hat sie auf sein Herz gezielt?
    Tief atmet er die schwüle, schwere Luft ein, zählt dabei bis zehn, atmet ebenso langsam aus, atmen, zählen, atmen, zählen.
    Die Tür wird geöffnet.
    »Herr Gerlach? Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich weiß nicht – dieses Stechen in der Brust – es kommt immer wieder. Und dann fängt das Herz an zu rasen.«
    »Haben Sie nicht geschlafen?«
    »Doch, natürlich. Aber vor einer halben Stunde bin ich aufgewacht und … hab angefangen, mir ein paar Notizen zu machen. Es war ja auch schon hell.«
    Ein Schwarm Rauchschwalben wirft sich in den Himmel, zieht einen großen Kreis, landet auf einem der Hausdächer gegenüber, flattert auf zu einem neuen Kreis.  Kii-kii-kii!
    »Ihr Herz ist völlig in Ordnung. Das letzte EKG war einwandfrei. Sie sind bloß noch nicht aus dem Stresszustand raus. Und der wird nicht besser, wenn Sie sich schon wieder in Arbeit stürzen. Ich kann Ihnen ein ganz leichtes Beruhigungsmittel geben, wenn Sie möchten.«
    »Eine Zigarette wäre mir lieber«, rutscht es ihm heraus.
    »Unterstehen Sie sich. Frühestens in zwei Wochen wieder. Der Stationsarzt müsste bald da sein. Ich werde ihm sagen, dass er gleich nach Ihnen schauen soll.«
    Gerlach wartet eine Weile. Dann setzt er sich wieder an den kleinen Tisch und nimmt den Kugelschreiber zur Hand.
     
    Ich hoffe für Dich, dass wieder andere Zeiten kommen werden. Vielleicht wird es einmal eine Gelegenheit geben, wo Du mir das Stück wieder vorspielst, wer weiß? Nächste Woche ist das Konzert zum Schuljahresabschluss. Bestimmt hat Leonie Dir schon erzählt, dass wir dieses Jahr die Kaffee-Kantate wieder aufführen – und dass sie den Sopran singt.
     
    Unwillkürlich macht Gerlach eine Handbewegung, als wolle er in die linke innere Sakkotasche greifen. Aber er trägt kein Sakko, sondern einen Pyjama, der dort keine Tasche hat, und wenn, dann wären keinesfalls sein Zigarettenetui und sein Feuerzeug darinnen. Natürlich könnte er versuchen, sich in den Morgen hinauszustehlen, um aus einem Automaten ein Päckchen Zigaretten zu ziehen. Lächerlich. Als ob er’s so nötig hätte! Die schwarzen Sobranie mit Goldfilter und die dünnen Cohibas gehören nicht anders zu seinem Leben als das Stehpult aus Kirschbaum in seiner Bibliothek, der Füller von Caran d’Ache und der Minenhalter, mit dem er Noten schreibt, und wenn er die geliebten Dinge eine Weile entbehren muss, dann ist das eben so. Ein Wolfgang Gerlach ist nach Tabak genauso wenig süchtig wie nach einem Füller.
     
    Du kannst Dir nicht vorstellen, wie gern ich Dich dabei hätte. Ich bin mir sicher, Du kennst den Text noch auswendig, von den allerersten Worten an. Leonie ist Dir stimmlich beinah ebenbürtig, aber im Text längst nicht so sicher wie Du. Eventuell werde ich noch einmal mit ihr repetieren müssen.
     
    Repetieren. Das setzt einen Gedanken frei, den er nicht nur einmal gedacht hat, und der ihn jedes Mal erschreckt. Was wäre, wenn es nach dem Tod wieder von vorn losginge? Wenn jeder dasselbe Leben immer wieder leben müsste, so lange, bis alle Fehler ausgemerzt sind und ein wirklich vollkommenes Leben gelingt? Aber das Leben lässt sich nicht vervollkommnen. Der Jawoll fällt ihm ein, der sommers wie winters mit einem Strickpullunder in seinem kleinen Tabakladen steht, und extra für ihn die Sorte Sobranie

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