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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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Sarg fällt. Ich habe mich gefragt, wie lange es dauert, bis man stirbt. Und woran. Wahrscheinlich verdurstet man. Ich weiß bis heute nicht, wie lang es dauert, bis man verdurstet ist. Ich wollte es nie wissen.«
    Plapper, plapper. Durst, Durst! Es heißt, zu verdursten ist der grauenvollste Tod. In welcher Dimension? Du solltest es doch besser wissen. Du kennst die Abgründe, Frau! Du weißt, was Menschen Menschen antun können. Du weißt, dass verdursten gnädig ist dagegen. Plapper, plapper. Berühr die schwarze Frau! Berühr mein Mädchen!
    »Aber wir waren bei Edgar Allan Poe. Weißt du, was mit ihm passiert ist? Seine Mutter wurde schwer krank, als er noch ein ganz kleines Kind war. Tuberkulose. Sie war eine arme Schauspielerin, ihr Mann hatte sie verlassen, und sie lebte allein mit ihrem Sohn in einem billigen kleinen Pensionszimmer. Er hatte niemanden außer ihr, und sie hatte niemanden außer ihm. Und sie ist ganz langsam vor seinen Augen gestorben. Zwei Jahre lang hat er ihrem Sterben zugesehen. Kannst du dir das vorstellen, auf die Welt zu kommen, und das erste, was du erlebst, ist der Tod des einzigen Menschen, den du kennst und den du über alles liebst?«
    Es sind die Augen. Es sind die Augen, die sehen müssen. Ganz langsam, sagst du, Frau? Ewigkeiten. Es sind Ewigkeiten, in denen Augen sehen müssen, in denen Wasser fließt. Bitteres Wasser. Tod schwimmt darin.
    Sandras Augen schwimmen, und vielleicht ist es der Tränenfluss, der Frau Dr. Halbritters Rede weiterträgt.
    »Als sie tot war, war er gerade drei Jahre alt, und für sein Leben lang musste er die sterbende Mutter in seiner Seele ertragen. Sie ist gewiss nicht absichtlich gestorben. Zwei Jahre lang hat sie erbärmlich gelitten. Und bestimmt hätte sie niemals gewollt, dass ihr Kind sie sein ganzes Leben lang nicht los wird. Aber irgendetwas an diesem verdammten menschlichen Leben will, dass es so ist, und ich frage mich bis heute, warum. Was hat es für einen Sinn, als Edgar Poe in eine innere Hölle geboren zu werden und das Leben nur mit Alkohol und Opium zu ertragen? Hat es für ihn irgendeinen Sinn gehabt? Hat es für uns einen Sinn? War er auf der Welt, um uns zu zeigen, was für Abgründe die Seele haben kann?«
    Eine Weile hat Sandra gewimmert. Jetzt gibt sie Laute von sich, die aus der Kehle einer Wölfin dringen könnten, und Frau Dr. Halbritter zwingt sich dazu, ihren Plauderton beizubehalten.
    »Übrigens ist der Poe dran schuld, dass ich Psychologie studiert hab und dass du mich auf dem Hals hast. Ich muss vierzehn oder fünfzehn gewesen sein, als ich in einem Antiquariat ein dreibändiges Werk von einer berühmten Psychoanalytikerin über Poe entdeckte. Und als ich es las, hatte ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, einen Menschen zu verstehen. Das war das, was ich immer wollte: Menschen verstehen. Weil ich es nicht konnte.«
    Man möchte schreien, aber man kann nicht. Man ist erstickt von sich, von der Angst, von all dem Wasser.
    »Ich habe die Menschen von klein auf nicht verstanden. Ich habe diese tobenden lauten Wesen im Kindergarten erlebt und mich vor ihnen gefürchtet. Ich habe mich selbst nicht verstanden, weil ich darüber nachdenken musste, warum ich nicht auch so ein tobendes Wesen bin, das sich um Spielzeug rauft, anderen ein Bein stellt und sich mit- und gegeneinander zusammenrottet. Ob man so sein muss, um auf dieser Welt bestehen zu können. Egal, was die anderen gemacht haben, sie haben immer schon alle Regeln vorher gekannt. Ich kannte sie nicht und fragte mich, wer sie ihnen beigebracht hat und warum ich sie nicht kenne. Und dann habe ich also die Studie über Edgar Allan Poe gelesen und zum ersten Mal das Gefühl gehabt, einen Menschen vollkommen begriffen zu haben. Und weil ich auch so klug sein wollte wie diese Marie Bonaparte, die das Buch geschrieben hat, habe ich Psychologie studiert.«
    Plapper, plapper. Der König hatte sich in sein Schloss zurückgezogen – die Welt blieb draußen. Feier, Spiel, Spiel. Feier, Spiel, Spiel. Die anderen, die anderen waren krank, aber die waren draußen. Drinnen war er sicher, so sicher, dass man Narren quälen konnte – spring, Hoppfrosch, spring! Draußen wütet der rote Tod.
    Sandras bleiche Maske ist zu einer rot verquollenen Masse zerlaufen.
    »Letzte Nacht hatte ich übrigens wieder diesen Traum.«
    Es gibt nur die zwei Möglichkeiten, denkt sie. Das Mädchen im eigenen Kerker verrecken lassen oder ihr die Haut abziehen und das rohe Fleisch freilegen.
    »Den

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