Blaulicht
verfolgt hat, weil er sich bei diesem Fabian nach ihr erkundigt hat, hm. Du nimmst außerdem an, dass Sandra ihre Schwester vor ihm schützen wollte, vielleicht genau deshalb auch nach Nürnberg zurückgekommen ist. Das ist sicher möglich, aber doch nur eine von mehreren Möglichkeiten. Und dann dieser Mord an der tschechischen Prostituierten – gehst du allen Ernstes davon aus, dass Gerlach das getan hat, nur weil die Frau auf eine, sagen wir mal, exotische Weise erdrosselt wurde und du dich dabei an die Fesselspiele erinnert fühlst, die dieser Kerl in Nürnberg abziehen wollte?«
»Es gibt mehrere Anhaltspunkte dafür, dass Gerlach immer wieder in Tschechien war, dass er dort wahrscheinlich sogar ein Häuschen hatte oder noch hat«, wendet Zoe ein und deutet auf die entsprechende Stelle in ihren Gesprächsnotizen mit Direktor Frauenknecht.
»Hör zu, Zoe, ich bin genau wie du der Meinung, dass dieser Gerlach nicht ganz sauber, auf jeden Fall eine zwanghafte Persönlichkeit ist. Und auch ich habe spätestens seit diesem Brief das ungute Gefühl, dass Sandra und vielleicht auch ihre Schwester von ihm auf eine perfide Weise unter Druck gesetzt werden. Aber was Gerlach mit Tschechien verbindet und ob es überhaupt eine Verbindung zwischen Sandra, Gerlach und Tschechien gibt, wissen wir nicht – und deine Annahme, Gerlach könnte etwas mit dem Prostituiertenmord vor einigen Jahren zu tun haben … sorry, aber das ist mehr als vage, es hängt vollkommen in der Luft, vor allem, weil wir nicht einmal wissen, ob die Tatwaffe tatsächlich eine Instrumentensaite oder gar eine Cellosaite gewesen ist!«
Zoe nickt langsam, ihr ist klar, dass die Psychologin recht hat. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihrer Intuition derartig viel Raum zu geben? Indizien, meine Herrschaften, es sind die Indizien, mit denen Fälle gelöst werden , hatte ihr Kriminalistikprof in Fürstenfeldbruck ihnen immer wieder eingeschärft, es sind weder die wenigen Fälle, in denen der Täter auf frischer Tat ertappt wird, noch die wenigen reuigen Geständnisse, und schon gar nicht sind es Kommissar Zufall und das berühmte Bauchgefühl, die uns bei der Ermittlungsarbeit helfen, sondern einzig und allein knallharte Fakten .
Es ist sehr still geworden im Büro und es scheint sich auch irgendwie abgekühlt zu haben.
»Also, Zoe, was haben wir in der Hand?« sagt Kascha in die Stille hinein und in ihrer Stimme schwingt deutlich hörbar ihre müde Erschöpfung mit, die nicht nur der Hitze geschuldet ist und der Kommissarin nicht entgeht.
»Kascha, mögen Sie vielleicht Schafskäse mit ein paar Oliven und Tomaten? Ich glaube, mit einer kleinen Unterlage im Magen lässt es sich besser denken.«
»Nein danke, ich habe keinen Hunger.« Kascha hat sich aufgerichtet und geht zur Notiztafel, die neben dem Paul-Klee-Kunstdruck an der Wand hängt. Innerhalb kürzester Zeit ist die Tafel selbst zu einem modernen Gemälde geworden, einem Gemälde aus unterschiedlich farbigen Notizen. ›Sandra‹ steht rot umkringelt in der Mitte, Pfeile führen auf sie zu und von ihr fort zu Gerlach, zu Moritz alias Rizzo, zu Heike, zu Leonie. Dazwischen Orte, Daten, Begebenheiten und jede Menge Fragezeichen.
»Weißt du«, sagt Kascha äußerlich vollkommen ruhig, beinahe kühl – so ruhig und kühl, wie ein isländischer Geysir kurz vor einer Eruption, »wir haben nichts außer Fragen, Fragen, Fragen!«
Mit jedem ›Fragen‹ unterstreicht sie ein Wort auf der Tafel, kringelt ein anderes ein.
»Wir haben einen ganzen Wust von Fragen: Was hat Sandra an diesem Wochenende vor drei Jahren erlebt, als Moritz gestorben ist? Was hat Gerlach gemacht? Waren die drei zusammen? Hat Sandra etwas mit Rizzos Tod zu tun – oder Gerlach? Was war der Auslöser für ihr Trauma? Was ist ihr Grauenhaftes widerfahren, dass es sie Jahre später immer noch derartig quält? Warum und wie genau ist Rizzo gestorben? Warum attackiert Sandra ihren Lehrer drei Jahre – drei lange Jahre! – danach? Weshalb schreibt sie ihrer Schwester Warnungen vor Gerlach in ein Internetforum? Warum, warum, warum? Was bedeutet das blaue Licht, warum redet sie die ganze Zeit von Scherben? Und was, um alles in der Welt, ist an diesem vermaledeiten Wochenende geschehen?! Was? – Verdammt noch einmal!«
»Ich weiß es nicht!« will Zoe ebenfalls brüllen, bringt aber keinen Ton über die Lippen. Ergreift stattdessen Kaschas Rechte, die gerade noch in irrsinniger Geschwindigkeit immer mehr Verbindungslinien auf
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