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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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starrte sie an – zum Schweigen gebracht durch einen gezielten Satz, der ihr so leicht über die Lippen gekommen war, als bringe er etwas lang schon Vertrautes und nicht besonders Wichtiges zum Ausdruck.
    Als er sich von dem Schock erholte, fragte er:
    «Warum sagst du das? ‹Mag unsere Ehe auch noch so wenig bedeuten›?»
    Sie sah ihm offen und ehrlich ins Gesicht.
    «Stimmt es nicht?»
    «Nein, tausend Mal nein! Unsere Ehe bedeutet mir alles.»
    Sie lächelte.
    «Nun ja, vermutlich ist es so – in gewisser Weise. Wir sind ein gutes Team, Stephen. Wenn wir an einem Strang ziehen, sind wir durchaus erfolgreich.»
    «Das meine ich nicht.»
    Er merkte, dass sein Atem unregelmäßig ging. Er nahm ihre Hand zwischen seine Hände und zog sie dicht an sich heran.
    «Sandra, weißt du nicht, dass du mir alles in der Welt bedeutest?»
    Und plötzlich wusste sie es. Es war unglaublich – unvorhergesehen – aber so war es.
    Sie lag in seinen Armen, und er hielt sie fest an sich gedrückt – küsste sie und stammelte unzusammenhängende Worte.
    «Sandra – Sandra – mein Liebling. Ich liebe dich… Ich hatte solche Angst – solche Angst, dich zu verlieren.»
    «Wegen Rosemary?», hörte sie sich fragen.
    «Ja.»
    Er ließ sie los, trat einen Schritt zurück, und sein Gesicht wirkte lächerlich in seiner Bestürzung.
    «Du wusstest – von Rosemary?»
    «Natürlich – die ganze Zeit.»
    «Und du kannst es verstehen?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Nein, ich verstehe es nicht. Und ich glaube nicht, dass ich es je verstehen werde. Du hast sie geliebt?»
    «Eigentlich nicht. Du warst es, die ich liebte.»
    Eine Welle der Bitterkeit schlug über ihr zusammen.
    «Seitdem du mich zum ersten Mal sahst, auf der anderen Seite des Salons?», zitierte sie. «Lüg mich nicht noch einmal an – denn es war gelogen!»
    Der plötzliche Angriff überraschte ihn nicht. Er schien ihre Worte genau abzuwägen.
    «Ja, es war gelogen – und doch auch wiederum nicht. Ich fange an zu glauben, dass es die Wahrheit war. O bitte, Sandra, versuche doch, mich zu verstehen! Du kennst doch die Leute, die immer einen ehrenwerten Grund für ihre nicht ganz so ehrenwerten Taten haben? Die Leute, die ehrlich sein müssen, wenn sie unfreundlich sein wollen, die es für ihre Pflicht halten, allen möglichen Klatsch zu verbreiten, diese Heuchler, weißt du, die sich selbst so viel vormachen, dass sie bis an ihr Lebensende selber glauben, sie hätten ihre gemeinen und scheußlichen Taten nur im Dienste der Selbstlosigkeit begangen. Versuch doch zu erkennen, dass das Gegenteil dieser Leute auch existieren kann! Menschen, die so zynisch sind, so wenig Vertrauen in sich und ins Leben haben, dass sie nur an ihre schlechten Beweggründe glauben. Du warst die Frau, die ich bitter nötig hatte. Das zumindest ist wahr. Und ich glaube felsenfest – jetzt, wenn ich auf alles zurückschaue –, wenn das nicht die Wahrheit gewesen wäre, dann hätte ich nie um dich werben können.»
    «Aber du hast mich nicht geliebt», sagte sie bitter.
    «Nein. Ich habe überhaupt nichts und niemanden geliebt. Ich war ein ausgehungertes, geschlechtsloses Wesen und stolz auf meine arrogante Kälte – ja, das war ich. Und dann verliebte ich mich wirklich ‹auf der anderen Seite des Saales› – eine dumme, heftige Jugendliebe, mehr war das nicht. Wie ein Gewitter im Hochsommer, kurz, unwirklich, schnell wieder vorbei.»
    Und bitter fügte er hinzu:
    «Ein wandelnd’ Schattenbild – wie wahr! Ein Märchen, erzählt – von einem Narren, voller Klang und Wut – das nichts bedeutet.»
    Er machte eine Pause, dann fuhr er fort:
    «Es war hier, in Fairhaven, dass ich aufwachte und die Wahrheit erkannte.»
    «Die Wahrheit?»
    «Dass nur du mir im Leben etwas bedeutest – du und deine Liebe.»
    «Wenn ich das gewusst hätte…»
    «Was dachtest du denn?»
    «Ich dachte, dass du mit ihr weggehen wolltest.»
    «Mit Rosemary?» Er lachte kurz. «Das hätte wirklich lebenslängliche Zwangsarbeit bedeutet.»
    «Hat sie denn nicht verlangt, dass du mit ihr weggehen solltest?»
    «Doch, das hat sie.»
    «Und was geschah?»
    Stephen holte tief Luft. Nun waren sie wieder an dem Punkt angelangt, wo es nicht weiterging, wo diese unfassbare Gefahr lauerte.
    «Das Luxembourg kam dazwischen.»
    Sie schwiegen beide. Und beide sahen, das wussten sie, vor ihrem inneren Auge dasselbe. Das blau angelaufene Gesicht einer einst hübschen Frau.
    Wie sie auf die Tote gestarrt hatten – und dann –

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