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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Farradays?»
    «Es war kein Fest. Nur die beiden und eine alte Cousine.»
    «Magst du die Farradays, Iris?»
    «Ich weiß es nicht. Ich glaube, nicht besonders – obwohl ich das nicht sagen sollte, denn sie waren wirklich sehr nett zu uns.»
    «Glaubst du, dass sie dich mögen?»
    «Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, sie hassen uns.»
    «Interessant.»
    «Findest du?»
    «Nicht, dass sie euch hassen – falls das stimmt. Interessant finde ich, dass du ‹uns› sagst. Meine Frage hatte sich nur auf dich bezogen.»
    «Ach so… Sie haben wohl nichts gegen mich persönlich. Aber ich glaube, sie haben etwas dagegen, dass wir als Familie praktisch nebenan wohnen. Wir waren ja eigentlich nicht mit ihnen befreundet – sie waren Rosemarys Freunde.»
    «Ja», sagte Anthony, «du sagst es, sie waren Rosemarys Freunde – obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass Sandra Farraday und Rosemary Busenfreundinnen waren, was?»
    «Nein», sagte Iris. Sie war jetzt ein wenig auf der Hut, aber Anthony rauchte friedlich weiter. Nach einer Weile sagte er:
    «Weißt du, was mir an den Farradays am meisten auffällt?»
    «Was denn?»
    «Nun, genau das – dass sie die Farradays sind. Wenn ich an sie denke, dann immer so – nicht als Stephen und Sandra, nicht als zwei Individuen, die mit dem Segen von Staat und Kirche zusammenleben – immer als dieses Doppelwesen – die Farradays. Kommt seltener vor, als du denkst. Die beiden haben ein gemeinsames Ziel, den gleichen Lebensstil, gleiche Hoffnungen und Ängste, gleiche Ansichten. Und das Komische ist, dass sie im Grunde sehr unterschiedlich sind. Stephen Farraday, würde ich sagen, ist ein Mann mit großer intellektueller Reichweite, sehr abhängig von der Meinung anderer, mit einem schrecklich geringen Selbstvertrauen und wenig Zivilcourage. Sandra hingegen hat einen eher begrenzten, mittelalterlichen Verstand, ist zu fanatischer Hingabe fähig und mutig bis an die Grenze der Verwegenheit.»
    «Auf mich wirkt er immer reichlich gestelzt und borniert.»
    «Borniert ist er überhaupt nicht. Er ist nur einer dieser typischen unglücklichen Erfolgsmenschen.»
    «Unglücklich?»
    «Die meisten Erfolgsmenschen sind unglücklich. Das ist der Grund für ihren Erfolg – sie müssen sich ständig selbst bestätigen, indem sie irgendwas erreichen, was in der Welt Aufsehen erregt.»
    «Was für ungewöhnliche Ideen du hast, Anthony.»
    «Du wirst schnell erkennen, dass es sich so verhält, wenn du darüber nachdenkst. Die Glücklichen scheitern, denn sie sind mit sich selbst im Reinen. Ihnen ist alles schnurz. So wie mir. Man kommt in der Regel auch gut mit ihnen aus – wiederum so wie mit mir.»
    «Du hast eine hohe Meinung von dir selbst.»
    «Ich mache nur auf meine Stärken aufmerksam für den Fall, dass sie dir entgangen sein sollten.»
    Iris lachte. Ihre Stimmung hatte sich gebessert. Die dumpfe Niedergeschlagenheit und Angst waren von ihr abgefallen. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr.
    «Komm mit zum Tee, und lass ein paar Leute mehr in den Genuss deiner ungewöhnlich angenehmen Gesellschaft kommen!»
    Anthony schüttelte den Kopf.
    «Heute nicht. Ich muss zurück.»
    «Warum kommst du nie zu uns nach Hause?», fragte Iris voller Schärfe. «Es muss doch einen Grund dafür geben.»
    Anthony zuckte mit den Schultern.
    «Sagen wir, ich bin ein bisschen komisch, was das Annehmen von Gastfreundschaft angeht. Dein Schwager mag mich nicht – das hat er ziemlich unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.»
    «Ach, kümmere dich doch nicht um George! Wenn Tante Lucilla und ich dich bitten – sie ist eine liebe alte Dame – du wirst sie mögen.»
    «Das würde ich sicherlich – aber meine Vorbehalte bleiben.»
    «Als Rosemary noch lebte, bist du oft gekommen.»
    «Das», sagte Anthony, «war etwas ganz anderes.»
    Eine kalte Hand fasste sachte an Iris’ Herz. Sie sagte:
    «Warum bist du überhaupt heute gekommen? Hattest du geschäftlich in diesem Teil der Welt zu tun?»
    «Sehr wichtige Geschäfte – mit dir. Ich kam, um dich etwas zu fragen, Iris.»
    Die kalte Hand verschwand. Stattdessen ergriff sie ein sachtes Flattern, ein Herzklopfen, wie Frauen es seit Menschengedenken kennen. Und gleichzeitig nahm Iris’ Gesicht denselben ahnungslosen, fragenden Ausdruck an, den schon ihre Urgroßmutter gehabt haben mochte, bevor sie ein paar Minuten später «Ach, Herr Sowieso, dies kommt so plötzlich!» flüsterte.
    «Ja?»
    Sie wandte Anthony dieses unglaublich ahnungslose Gesicht

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