Blausäure
haben wir überhaupt nichts gegen Farraday in der Hand.»
«Wie steht’s mit dem Zyankali? Hat man irgendein Behältnis dafür gefunden?»
«Ja. Ein kleines weißes Papiertütchen unter dem Tisch. Wies an der Innenseite Spuren von Zyankalikristallen auf. Keine Fingerabdrücke darauf. In einem Kriminalroman wäre es natürlich von einer besonderen Papiersorte, oder auf eigenartige Weise gefaltet. Diesen Krimiautoren würde ich gerne einmal einen Grundkurs in Routinearbeit geben. Damit sie sehen, dass die meisten Dinge auf keinerlei Spur führen und dass niemand je irgendwo irgendetwas gesehen hat!»
Race lächelte.
«Eine radikale Meinung! Hat denn gestern Abend irgendjemand etwas bemerkt?»
«Dem will ich heute nachgehen. Gestern Abend habe ich von allen Beteiligten nur eine kurze Aussage zu Protokoll genommen und bin dann mit Miss Marie zum Elvaston Square gefahren, um einen Blick auf Bartons Schreibtisch und seine Papiere zu werfen. Heute werde ich von allen ausführlichere Aussagen bekommen – auch von den Leuten, die an den anderen beiden Tischen in der Nische gesessen haben – »
Er blätterte in seinen Unterlagen.
«Ja, hier sind sie. Gerald Tollington, Gardegrenadier, und die ehrenwerte Patricia Brice-Woodworth. Jung verlobtes Pärchen. Ich wette, die hatten nur Augen füreinander. Und Mr Pedro Morales, ein übler Bursche aus Mexiko – sogar das Weiße in seinem Auge ist gelb – und Christine Shannon – eine hübsche blonde Goldgräberin – ich wette, die hat auch nichts gesehen – dümmer, als man für möglich hält, außer in Geldfragen. Die Chancen stehen hundert zu eins, dass jemand von ihnen irgendetwas sah, aber für alle Fälle habe ich ihre Namen und Adressen notiert. Wir fangen mit dem Kellner an, diesem Giuseppe. Er ist jetzt hier. Sie sollen ihn mal zu uns reinschicken.»
Zwei
G iuseppe Bolsano war ein schmächtiger Mann mittleren Alters, mit einem intelligenten Gesicht, das an ein Äffchen erinnerte. Er war nervös, wenngleich nicht übermäßig. Englisch sprach er fließend, da er, wie er erklärte, seit seinem siebzehnten Lebensjahr in England lebte und überdies mit einer Engländerin verheiratet war.
Kemp behandelte ihn mit Anteilnahme.
«Nun, Giuseppe, lassen Sie mal hören, ob Ihnen zu der Geschichte noch etwas eingefallen ist.»
«Die Sache mir ist sehr unangenehm. Ich bin es, der bedient diesen Tisch. Ich, der schenkt ein Wein. Leute werden meinen, dass ich habe verloren meinen Kopf, dass ich tat das Gift in Weingläser. Es war nicht so, aber Leute werden meinen. Jetzt sagt Mr Goldstein, besser ist es, eine Woche fernbleiben von meiner Arbeit – damit Leute mich nicht fragen zu viele Fragen und zeigen auf mich. Er ist guter Mann und gerecht, und weiß, dass es nicht ist meine Schuld und dass ich schon viele Jahre dort arbeite, also er entlässt mich nicht, wie andere Restaurantbesitzer tun würde. Mr Charles auch sehr freundlich, aber trotzdem ist großes Unglück für mich – und macht mich Angst. Ich haben einen Feind, ich mich frage?»
«Nun», fragte Kemp, sein Gesicht noch hölzerner und unbewegter als sonst, «haben Sie einen Feind?»
Das traurige Affengesicht verzog sich zu einem Lachen. Giuseppe streckte die Arme aus.
«Ich? Ich habe keinen Feind auf der Welt. Viele gute Freunde, aber keine Feinde.»
Kempte brummte.
«Und gestern Abend? Erzählen Sie mir alles über den Champagner.»
«Es war Clicquot, Jahrgang 1928 – ein sehr guter und teurer Wein. Das entsprach Mr Barton – er liebte gutes Essen und Trinken – immer nur das Beste.»
«Hat er den Wein vorher bestellt?»
«Ja. Er hatte alles vorher mit Charles geklärt.»
«Was war mit dem leeren Platz am Tisch?»
«Auch das er hatte abgesprochen. Er sagte Charles, und Charles sagte mir, dass eine junge Dame den Platz würde einnehmen später im Abend.»
«Eine junge Dame?»
Race und Kemp sahen einander an.
«Wissen Sie, wer die junge Dame war?»
Giuseppe schüttelte den Kopf.
«Nein, ich weiß nichts über das. Sie sollte später kommen, ist alles, was ich hörte.»
«Erzählen Sie uns noch weiter über den Champagner. Wie viele Flaschen?»
«Zwei Flaschen und eine dritte in Reserve. Die erste Flasche war ziemlich schnell leer getrunken. Die zweite ich öffne, kurz bevor die Vorstellung beginnt. Ich fülle die Gläser und lege die Flasche in Eiskübel.»
«Wann haben Sie Mr Barton zuletzt trinken sehen?»
«Lassen Sie mich denken. Als die Vorstellung vorbei war, sie tranken auf das
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