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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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glaubte seiner Tochter nicht. Als er langsam aus dem Zimmer ging, war sein Gesicht grau und bestürzt. Er ging hinauf in das Wohnzimmer seiner Frau. Er hatte sich gegen ihre Anwesenheit in der Bibliothek ausgesprochen, denn er wusste nur zu gut, dass ihre arrogante Art leicht Widerstand erregte – und bei diesem Stand der Dinge hielt er harmonische Beziehungen auch zu den offiziell ermittelnden Polizeibeamten für lebenswichtig.
    «Nun?», fragte Lady Kidderminster. «Wie ist es gelaufen?»
    «Äußerlich betrachtet ganz gut», antwortete Lord Kidderminster langsam. «Kemp ist ein höflicher Bursche – sehr liebenswürdig im Umgang – hat die ganze Sache taktvoll durchgeführt – vielleicht ein bisschen zu taktvoll für meinen Geschmack.»
    «Es sieht also ernst aus?»
    «Ja, sehr ernst. Wir hätten Sandra niemals diesen Burschen heiraten lassen dürfen, Vicky.»
    «Das habe ich ja immer gesagt!»
    «Ja – ja…»
    Er unterwarf sich und nickte.
    «Du hattest Recht – und ich habe mich geirrt. Aber glaub mir: Sie hätte ihn so oder so genommen. Wenn Sandra sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bringt sie keiner davon ab. Dass sie Farraday begegnet ist, war eine Katastrophe – ein Mann, von dessen Vorleben und Vorfahren man nichts wusste. Wie soll man wissen, wie so ein Mann in einer Krise reagiert?»
    «Ich verstehe», sagte Lady Kidderminster. «Du glaubst, wir haben einen Mörder in unsere Familie aufgenommen?»
    «Ich weiß es nicht. Ich will den Knaben nicht einfach so verurteilen – aber die Polizei denkt es – und die sind ziemlich clever. Er hatte eine Affäre mit der Barton’schen – so viel steht fest. Entweder hat sie sich seinetwegen das Leben genommen, oder aber er… Jedenfalls, was auch immer geschah, Barton hat es spitzgekriegt und war auf Enthüllung und Skandal aus. Ich nehme an, Stephen wollte sich dem nicht aussetzen – und – »
    «Und hat ihn vergiftet?»
    «Ja.»
    Lady Kidderminster schüttelte den Kopf.
    «Ich bin nicht deiner Meinung.»
    «Hoffentlich hast du Recht! Aber irgendjemand hat ihn vergiftet.»
    «Wenn du mich fragst – », sagte Lady Kidderminster, «Stephen hätte nicht den Mumm, um so etwas zu tun.»
    «Er nimmt seine Karriere todernst – hat großes Talent, wie du weißt, alles, was es zu einem großen Staatsmann braucht. Man kann nie wissen, wozu ein Mensch fähig ist, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt.»
    Wiederum schüttelte seine Frau den Kopf.
    «Ich bleibe dabei, dazu fehlt es ihm an Mumm. Für so etwas muss man eine Spielernatur sein und couragiert bis zur Verwegenheit. Ich habe Angst, William, ich habe schreckliche Angst.»
    Er starrte sie an.
    «Willst du etwa andeuten, dass Sandra – Sandra –?»
    «Ich hasse es, auch nur den Gedanken zu haben – aber es nützt nichts, jetzt feige den Kopf in den Sand zu stecken. Sie ist vollkommen verrückt nach dem Mann – ist es immer gewesen – und es gibt eine sonderbare Ader in ihr. Ich habe sie nie wirklich verstanden – aber ich habe immer Angst um sie gehabt. Für Stephen würde sie alles riskieren – alles. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und wenn sie so verrückt war und so gottlos, diese Tat zu begehen, dann muss sie geschützt werden.»
    «Geschützt? Was meinst du damit – geschützt?»
    «Durch dich geschützt! Wir müssen doch etwas für unsere eigene Tochter unternehmen, oder nicht! Zum Glück kannst du ja an genug Fäden ziehen.»
    Lord Kidderminster starrte sie weiterhin an. Er hatte immer geglaubt, sie gut zu kennen, aber jetzt war er doch entsetzt über die Stärke und den Mut, ihren Pragmatismus – über ihre Weigerung, die Augen vor unangenehmen Tatsachen zu verschließen – und auch über ihre Skrupellosigkeit.
    «Wenn meine Tochter eine Mörderin ist, sollte ich also deiner Meinung nach meine Stellung in der Öffentlichkeit dazu benutzen, um sie vor den Konsequenzen ihrer Tat zu schützen?»
    «Selbstverständlich», sagte Lady Kidderminster.
    «Meine liebe Vicky! Du verstehst das nicht! So etwas kann man nicht machen! Es wäre eine – eine Ehrverletzung!»
    «Blödsinn!», sagte Lady Kidderminster.
    Sie sahen einander an – so verschieden in dieser Frage, dass keiner von beiden den Standpunkt des anderen auch nur nachvollziehen konnte. So mochten sich Agamemnon und Klytämnestra angestarrt haben, mit dem Namen Iphigenies auf ihren Lippen.
    «Du könntest dafür sorgen, dass die Regierung ein bisschen Druck auf die Polizei ausübt! Sie sollen die ganze Sache fallen lassen und

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