Blauwasserleben
nachzudenken, nickten Stefan und ich. Ehrlich
gesagt, waren wir froh, dass uns beim Flicken ein professioneller Segelmacher
helfen wollte.
Wenige Tage später fuhren wir mit unserem Dinghi ein weiteres Mal
einen schmalen Nebenfluss des RÃo Dulce hoch. Nach gut vierzig Minuten hörten
wir die Klänge einer Verdi-Oper, die durch dichtes Dschungelgrün zu uns
drangen. Die Musik war unser Wegweiser. Wenig später konnten wir zu unserer
rechten Seite Carlos abgeschieden gelegenes Anwesen erkennen, mehrere Häuser
und eine Art Loft, umgeben von einer riesigen Gartenanlage mit Swimmingpool.
Das Boot machten wir an einem Baum fest, unmittelbar neben dem Motorboot des
Italieners.
Vorsichtig bewegten wir uns vorwärts, denn im Gegensatz zu Rolf und
seiner Familie schien uns hier niemand zu hören. Nach einigen Schritten
eröffnete sich auf einmal dieses unglaubliche Bild: Da saà Carlo in seinem
offenen Loft â nur ein Dach schützte ihn vor Regen â vor einer Nähmaschine,
eine Brille auf der Nase, und nähte vollkommen vertieft Bahnen von leuchtend
weiÃem Segelleinen für uns zusammen. Es schien der schönste Arbeitsplatz der
Welt zu sein.
Carlo war um die sechzig und hatte schüttere grau-schwarze Haare. Er
trug braune Shorts, schwarze Crocs, und unter dem pinkfarbenen Poloshirt wölbte
sich ein kleiner Bauch â er schien kein Kostverächter zu sein. Als er unsere
Anwesenheit endlich bemerkte, hob er den Kopf: »Entschuldigung«, sagte er,
wobei er die Brille abnahm. »Für die Nähmaschine muss ich den Generator
anschmeiÃen, der ist aber genauso laut wie die Brüllaffen. Das kann ich nur
ertragen, wenn ich die Musik laut stelle. Oder Kopfhörer aufsetze.«
Einen halben Tag blieben wir bei ihm. Der Stoff, den er für unsere
Segel ausgesucht hatte, war von feinster Qualität, das merkte man schon beim
Anfassen. Er erklärte, dass er alles aus Italien importiere. Dabei legte er
unsere neue, fast fertige Genua zur Seite, sollten wir doch nun den
mitgebrachten Spinnaker ausrollen. Ãber sechs Stunden flickten wir diesen
wieder zusammen, ohne dass Carlo einen Cent dafür nahm. Was wir in dieser Zeit
von ihm über Segel lernten, war unglaublich. Er erzählte uns, dass er bei den
Top-Regatten in Italien ein gefragter Segelmacher sei.
»Aber wenn du so gut im Geschäft bist, warum hockst du hier am RÃo
Dulce?«
»Dafür gibt es eine einfache Erklärung. In Italien nähe ich nicht
mehr eigenhändig, da entwerfe ich nur noch und gebe die Aufträge an Firmen
weiter. Hier, in Guatemala, mache ich noch jeden Handgriff selbst, nehme die
MaÃe, schneide die Bahnen zurecht, nähe sie zusammen. Ich stelle das ganze Produkt
alleine her, wie damals, als ich mit diesem Beruf begann. Beide Welten zu
haben, das ist mein Glück.«
Endgültig waren wir überzeugt, dass Carlo die besten Segel der Welt
für Baju nähen würde. Es muss wohl kaum erwähnt
werden, dass sie wirklich top waren â auf dem Wasser, bei Wind und Wetter,
konnten wir später den Unterschied zu unserem alten Segel feststellen. Selbst
nach zwei Jahren Segelerfahrung hatten wir, was die Bedeutung des Materials
betraf, noch nicht ausgelernt.
Das Tor zum Pazifik
» Baju «, sagte jemand hinter mir.
Ich stand in Utila beim Zoll und wollte unsere Papiere zum Einklarieren
vorbereiten. Das gleichnamige Eiland vor Honduras gilt als »Insel der Glückseligen«.
Als ich mich umdrehte, sah ich Damian und seine Freundin Nora. Sofort erinnerte
ich mich an die beiden Engländer und freute mich, sie wiederzusehen. Inzwischen
war es Januar 2011.
»Hey, wie geht es euch?«, fragte ich Damian und Nora . »Ich habe euer Boot überhaupt nicht in der Bucht
gesehen.«
»Das liegt daran, dass wir ein neues Schiff haben«, erklärte Damian.
Nora und Damian hatten wir auf Dominica kennengelernt. Sie hatten
sich ein Boot gekauft, es restauriert und hübsch hergerichtet, um es wieder zu
veräuÃern â für sehr viel mehr Geld als der ursprüngliche Kaufpreis. Von dem
Erlös erwarben sie ein gröÃeres Schiff, das sie ebenfalls schöner gestalteten,
um es wieder mit Gewinn loszuwerden. Dieses Prinzip setzten sie fort, hatten
aber selten mehr als 2000Â Pfund auf dem Konto. Wir fanden das sehr mutig.
Zugleich erschien uns diese Summe allerdings als viel zu gering; damit war es
kaum möglich, entspannt ein Jahr
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