Blauwasserleben
ich fest daran, dass Stefan noch lebte,
in der nächsten konnte ich mir nicht vorstellen, ihn jemals wieder lebend zu
sehen. Nicht nach all dem, was ich in dieser Nacht erlebt hatte, in der Arihano
nach mir rief. Dieses Hin und Her war kaum auszuhalten. Manchmal glaubte ich,
verrückt zu werden. Doch dann riss ich mich wieder zusammen, denn noch war
nichts gewiss.
Immer klarer kristallisierte sich heraus, dass Arihano keine
Mitstreiter hatte, sondern alles im Alleingang geplant haben musste. Was genau
das Vorhaben des Täters aber gewesen war, konnte niemand plausibel
rekonstruieren.
Der SEK -Leiter verabschiedete sich von
mir, sagte, es gäbe Dringendes zu tun. Seine Miene verriet nichts, jedenfalls
nichts, was mich ihn besorgt anblicken lieÃ. Vielleicht wollte ich dies auch
nicht so genau sehen.
Am Nachmittag brachte ich die Baju mit
Vries und dem Feuerwehrmann nach Taiohae. Es war ein komisches Gefühl, mit zwei
Männern, aber nicht mit Stefan an Bord zu sein, den Anker zu lichten und die
Küste entlangzumotoren. Ich lieà den Wassermacher laufen, wollte, dass alles in
Ordnung ist, wenn Stefan seinen geliebten Katamaran wieder betrat. Trotzdem
wohnte ich weiterhin auf der Yacht von Vries und Daphne. Allein auf der Baju , das hielt ich nicht aus.
Nachdem der Anker geworfen war, starrte ich aufs Wasser. Was waren
das für Sachen, die man gefunden hatte? Wozu brauchten die Ermittler Stefans
Zahnunterlagen? Bevor ich mir verschiedene Szenarien auszumalen begann,
scheuchte ich die Fragen aus meinem Kopf. Ich denke, es war eine SchutzmaÃnahme.
Gegen halb neun Uhr abends, ich war wieder auf der Aquamante , klingelte mein Handy. Es meldete sich die
einzige Polizistin, die zum Sondereinsatzkommando gehörte und mich vernommen
hatte. An ihr Gesicht vermag ich mich nicht mehr zu erinnern.
»Bitte«, sagte sie, »komm zur Gendarmerie.«
Etwas in mir wollte nicht, zeigte Widerstand. »Muss das sein? Ich
kann nicht mehr. Ich bin müde. Es war heute eine lange Anhörung.«
Dann äuÃerte sie etwas, von dem ich nur drei Worte behalten hatte: »dead or alive« . Eigentlich hatte ich nur ein Wort
aufgenommen, nämlich letzteres. Daraus schloss ich: Stefan war am Leben. Und
weil sie es mir nicht am Telefon sagen wollen, muss ich persönlich auf der
Polizeistation erscheinen.
Vries lieà sofort das Beiboot ins Wasser. Zusammen fuhren wir zum
Anleger, und nach zehn Minuten FuÃweg, hinter einer kleinen Anhöhe, hatten wir
die Gendarmerie erreicht. Den Weg kannte ich mittlerweile im Schlaf, so oft war
ich ihn gegangen.
Keiner der Polizisten saà an seinem Schreibtisch, alle standen,
keiner sagte etwas. Die Atmosphäre war merkwürdig angespannt. Hier stimmte
etwas nicht. Hier ging es nicht um alive , das sah
anders aus, das war zu spüren.
»Was ist?«, fragte ich.
Weder der Leiter des SEK noch die
Polizistin sagten etwas. Jeglichen Augenkontakt mit mir vermieden sie.
SchlieÃlich hörte ich wie aus weiter Ferne: »Wir warten noch auf den
Ãbersetzer. Wir können das nicht ohne ihn machen.« Wenn sie nicht ohne
Ãbersetzer anfangen konnten, dann musste »das« etwas Schlimmes sein. Gute Nachrichten
kennen keine Sprachbarrieren.
Alle schauten mich an, ich dachte nur: Sie wissen es, nur ich weiÃ
es nicht. Laut sagte ich: »Ich will nicht auf den Ãbersetzer warten, ich will
es jetzt erfahren.«
Die Beamten führten mich in das einzige Zimmer, zu dem es eine Tür
gab. Ansonsten war die Gendarmerie ein einziger offener Raum.
»Heike, setz dich doch bitte«, sagte der SEK -Leiter.
Ich lieà mich auf einen Stuhl nieder, Vries nahm neben mir Platz,
alle anderen standen weiterhin um uns herum. Gerade als ich aufschreien wollte:
»Es geht so nicht weiter«, erschien Joseph Jaffé in der Tür, der Ãbersetzer.
Der SEK -Chef begann mit seinen Ausführungen. Auf
Französisch. Auf Vriesâ Gesicht, das ich beobachtete, zeichnete sich Schrecken
ab, er stieà nur ein » Oh God « hervor. Bevor Joseph
Jaffé das Gesagte ins Deutsche übersetzte, wusste ich, was passiert war. Stefan
ist nicht mehr am Leben. Er ist tot.
Der Ãbersetzer sprach bedächtig, versuchte, dadurch die Worte
weniger brutal klingen zu lassen: »Es ist eine Feuerstelle gefunden worden, mit
menschlichen Ãberresten. Man geht davon aus, dass sie von Stefan stammen.
Hundertprozentig kann man das aber nicht sagen. Das wird man
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