Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben
Autoren: Heike Dorsch
Vom Netzwerk:
Ray-Ban-Brille?«
    Â»Er hat eigentlich nie Markenklamotten getragen … aber halt, die
Brille, ja, die habe ich in Belize am Strand gefunden …«
    Ich identifizierte noch ein gefundenes T-Shirt. Vom Täter. Und
unsere Taschenlampe hatte man am Strand gefunden.
    Â»Kann ich mir die Feuerstelle ansehen?«, fragte ich schließlich
leise.
    Â»Der Staatsanwalt wird sie sich heute Nachmittag anschauen, du
kannst mit ihm gehen.«
    Ich wollte den Ort sehen, an dem Stefan gestorben war. Ich wollte
sehen, was er zuletzt gesehen hatte, die Luft einatmen, die er eingeatmet
hatte. Den Weg gehen, den er gegangen ist. Ich wollte ihm noch einmal nah sein.
    Das Gespräch mit den beiden Gendarmen hatte ich konzentriert
verfolgt und war nicht ein einziges Mal in Tränen ausgebrochen. Erst als ich
mittags in einer Wäscherei stand, um zwei Tüten mit Wäsche abzugeben, konnte
ich nichts sagen, da mir unentwegt Tränen über die Wangen liefen. Die Frau
hinter dem Tresen, die, wie alle auf der Insel, über das Geschehen Bescheid
wusste, meinte: »Gib mal her, ich mach das schon.« Sie nahm mir die beiden
Tüten aus der Hand, ich war wie versteinert.

    Den Staatsanwalt treffe ich auf der Polizeiwache. Wir
werden einander vorgestellt. Er spricht sein Beileid aus. Mit einem Speedboot
fahren einige Polizisten, der Staatsanwalt, der Übersetzer Joseph, Vries und
ich die dreißig Minuten zur Bucht vor dem Dorf Hakau’i.Wir
gehen einen Pfad entlang, den ich nicht kenne, einer der SEK -Beamten
erklärt: »Vorher existierte hier kein Weg – wir sind so oft hin- und hergelaufen,
dass es nun einer ist.«
    Â»Ist das der Weg, den auch Stefan gegangen ist?«, frage ich.
    Â»Ganz genau wissen wir es nicht, aber wir hatten einheimische Jäger
als Unterstützung dabei. Sie führten uns durch dieses Dickicht.«
    Das Terrain ist steinig. Kein Ort, um eine Leiche gut abtransportieren
oder beerdigen zu können. Man würde mit ihr ständig abrutschen. Um diesen Weg
zu gehen, versuche ich – wie so oft in den letzten Tagen – messerscharf zu
beobachten, das Schreckliche zu rationalisieren. Außer Vries ist keiner da, der
mich psychologisch stützt. Ich muss mich auf mich selbst verlassen, auf meinen
Verstand, um nicht durchzudrehen. Meine Mutter wollte sofort kommen, als sie
alles erfuhr. Doch ich riet ihr davon ab, um sie zu schonen.
    Der Weg führt in ein anderes Tal. Sicher sind wir schon fünf, sechs
Kilometer gelaufen. An einer Stelle sind Seile gespannt, an denen der
Staatsanwalt und ich uns festhalten, sonst hätte der unfeste Boden uns in
tiefere Regionen befördert. Nach einer Weile vernehmen wir durchdringendes Gemecker.
Ziegen! Das immerhin war keine Lüge. Arihano hatte Stefan in ein Gebiet
geführt, in dem man Ziegen schießen konnte.
    Einer der SEK -Leute sagt: »Hier droht
Steinschlag, wir müssen aufpassen. Wenn ihr hört, dass Steine rollen, nehmt
eine gebückte Haltung an und schützt euren Kopf.« Ich achte kaum auf die Worte,
denn ich muss an das Telefonat denken, das ich mit Simon gehabt hatte. Er hatte
von einem riesigen Scheiterhaufen gesprochen, als er von den Umständen erfuhr,
durch die sein Bruder gestorben war. Scheiterhaufen – ich hatte dieses Wort mit
Schrecken aufgenommen, nun war es wieder da. Musste es bei einem solchen Feuer
nicht einen Waldbrand gegeben haben, so trocken, wie das Holz hier ist? Ich
fange an, nach blattlosen Bäumen Ausschau zu halten. Entdecke aber keinen
einzigen.
    Nach drei weiteren Schritten sagte der Chef des SEK : »Hier ist es.«
    Im ersten Moment schaue ich mich verdutzt um. Wo ist denn die
Stelle? Den Waldbrand noch im Kopf, übersehe ich die Feuerstelle am Boden.
Durchmesser: ein Meter mal einszwanzig. Der erste Gedanke: Niemals kann ein
ganzer Körper hier verbrannt worden sein. Stefan muss zerstückelt worden sein,
ich werde um diese Tatsache nicht herumkommen. Der SEK -Chef,
den ich anschaue, nickt nur.
    Man kann von dieser Feuerstelle aus nicht weitergehen. Der Ort ist
eine Art Sackgasse. Wieder eine Sackgasse. Der Täter hatte auch mich in eine
Sackgasse geführt. Rechts von der Feuerstelle verläuft der Bach, irgendwo
weiter hinten stürzt er in die Tiefe. Das ist an den Geräuschen zu hören. Zu
sehen ist der Wasserfall jedoch nicht. Links geht es steil bergauf. Stefan ist
da bestimmt hochgeklettert, überlege ich, um von oben nach Ziegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher