Bleakhouse
mit ihrer Bürde niederzusetzen, wobei der Junge immer dicht bei ihr blieb und sich an ihrer Schürze festhielt. »Ist es denn möglich, daß dieses Kind für die übrigen arbeitet? Seht das an! Um Gottes willen, seht euch das an.«
Es war wirklich ein seltsamer Anblick, diese drei Kinder, dicht zusammengedrängt und zwei von ihnen auf das dritte angewiesen und dieses selbst noch so jung und doch von einem gereiften und gesetzten Benehmen, das seltsam von der kindlichen Gestalt abstach, zu sehen.
»Wie alt bist du, Charley?«
»Dreizehn vorbei, Sir.«
»Wirklich! Ein hohes Alter!« sagte mein Vormund. »Wirklich ein hohes Alter, Charley!«
– Ich kann die Zärtlichkeit, mit der er zu dem Kinde sprach, nicht beschreiben; halb scherzend und dadurch nur noch mitleidiger und betrübter. –
»Und du bist ganz allein mit diesen Kleinen, Charley?«
»Ja, Sir«, antwortete das Kind und sah ihm offenherzig und vertrauensvoll ins Gesicht, »seit der Vater tot ist.«
»Und wovon lebst du, Charley?... Nun, Charley«, fragte mein Vormund und wendete einen Augenblick das Gesicht ab. »Wovon lebst du?«
»Seit der Vater starb, bin ich auf Arbeit gegangen. Heute bin ich auf Wäsche.«
»Aber Gott im Himmel, Charley, du bist ja nicht groß genug, um auf das Faß hinaufzureichen.«
»In Holzschuhen doch, Sir«, sagte das Kind rasch. »Ich habe ein Paar sehr hohe von der Mutter.«
»Und wann ist die Mutter gestorben?... Arme Mutter!«
»Die Mutter starb gleich nach Emmas Geburt«, sagte das Kind und sah das Gesichtchen an ihrer Brust an. »Der Vater sagte, ich sollte ihr eine Mutter sein, so gut ich könnte. Und so versuchte ich es. Ich habe zu Haus gearbeitet und das Reinmachen und Kinderwarten und Waschen besorgt, schon lange, bevor ich außer Haus arbeiten ging. Und daher kann ich's jetzt. Sehen Sie nicht, Sir?«
»Und arbeitest du oft außer Haus?«
»So oft ich kann«, Charley sah auf und lächelte, »weil ich Sixpences und Schillinge verdienen muß.«
»Und schließt du immer die Kleinen ein, wenn du ausgehst?«
»Damit ihnen nichts geschieht, Sir, wissen Sie, Sir. Mrs. Blinder kommt manchmal nachsehen, und manchmal kommt Mr. Gridley herauf, und zuweilen kann ich selbst auch herüberlaufen, und sie können miteinander spielen, und Tom fürchtet sich nicht, wenn man absperrt, nicht wahr, Tom?«
»Nein«, sagte Tom tapfer.
»Und wenn es finster wird, scheinen unten im Hof die Laternen ganz hell herauf – ganz hell. Nicht wahr, Tom?«
»Ja, Charley«, sagte Tom, »fast ganz hell.«
»Und dann ist er so verläßlich wie Gold«, sagte das kleine Geschöpf in einer mütterlichen, frauenhaften Weise. »Und wenn Emma müde ist, legt er sie ins Bett, und wenn er selbst müde ist, geht er auch ins Bett, und wenn ich nach Hause komme und die Kerze anzünde und einen Bissen zu Abend esse, steht er wieder auf und ißt mit. Nicht wahr, Tom?«
»O ja, Charley«, sagte Tom. »Das tu ich.« Und er verbarg sein Gesicht, entweder von dieser Erinnerung an die große Freude seines Lebens oder von Dankbarkeit und Liebe zu Charley, die ihm sein Alles war, überwältigt, in den Falten ihres dürftigen Kleides, und sein Lachen ging in Weinen über.
Das erste Mal seit unserm Eintreten sahen wir eine Träne bei einem dieser Kinder.
Die kleine Waise hatte von Vater und Mutter gesprochen, als ob die Notwendigkeit, mutig zu sein und ihr kindliches Selbstbewußtsein, arbeiten zu können, und ihr rühriges, geschäftiges Wesen jeden Schmerz um den erlittenen Verlust erstickt hätten. Aber jetzt, als Tom weinte, sah ich eine Träne ihr Gesicht herabrinnen, wenn sie auch ruhig dasaß und uns still ansah.
Ich stand mit Ada am Fenster und tat, als betrachtete ich die Dächer und die rauchgeschwärzten Schornsteine und die kümmerlichen Blumen und die Vögel in den kleinen Käfigen vor den Fenstern der Nachbarn, als ich entdeckte, daß Mrs. Blinder, die wahrscheinlich die ganze Zeit dazu gebraucht hatte, die Treppen hinaufzusteigen, aus dem Laden unten heraufgekommen war und mit meinem Vormund sprach.
»Es ist weiter nichts daran. Ich lasse ihnen nur den Zins nach, Sir«, keuchte sie. »Wer möchte denn etwas von ihnen nehmen!«
»Schon gut, schon gut«, sagte mein Vormund zu uns beiden. »Es ist genug, daß einmal die Zeit kommen wird, wo diese gute Frau sieht, daß sehr viel daran war und daß das, was sie an den Geringsten von diesen getan –!... Aber wird das Kind das aushalten können?« setzte er nach einer kurzen Pause
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