Bleakhouse
das nicht zu befürchten.«
»Also gut, Mr. Tulkinghorn!« ruft Mr. Snagsby fröhlich und beruhigt aus. »Da das der Fall ist...«
»Ja. Übrigens hören Sie mal, Mr. Snagsby«, nimmt Bucket den Papierhändler beiseite und klopft ihm gemütlich auf die Brust. »Sie sind ein Mann von Welt, verstehen Sie, und ein Geschäftsmann und ein verständiger Mensch. Das wissen wir.«
»Ich bin Ihnen sehr für Ihre gute Meinung verbunden«, antwortet der Stationer mit seinem Bescheidenheitshüsteln, »aber...«
»Das sind Sie bestimmt«, versichert Bucket. »Daher ist es überflüssig, einem Mann wie Ihnen, der einem Geschäft vorsteht, das Vertrauenssache ist und eine Person erfordert, die die Augen offen und alle ihre fünf Sinne beisammen hat und den Kopf gerade hält – ist es überflüssig, einem Mann wie Ihnen zu sagen, daß es das Beste und Klügste ist, über derlei kleine Dinge den Mund zu halten. Verstehen Sie mich wohl, den Mund zu halten!«
»Gewiß, gewiß«, beteuert der Papierhändler.
»Ihnen kann ich's ja sagen«, fährt Bucket mit einer gewinnend offenherzigen Miene fort. »Soweit ich die Sache durchschaue, scheint der Verstorbene auf eine kleine Erbschaft Anspruch gehabt zu haben, und das Frauenzimmer hat ihm vermutlich einige Streiche gespielt.«
»Oh«, versichert Mr. Snagsby. Aber die Sache scheint ihm nicht besonders einzuleuchten.
»Sie sehen es gewiß gern«, Mr. Bucket klopft Mr. Snagsby wieder gemütlich und beruhigend auf die Brust, »daß jeder zu seinem Rechte kommt. Das ist gewiß auch Ihr Wunsch.«
»Natürlich!« nickt Mr. Snagsby.
»Also Ihnen und zugleich einem Kunden oder Klienten zuliebe... Wie nennen Sie es in Ihrem Geschäft? Ich habe vergessen, wie mein Onkel, der früher einmal bei Ihnen im Geschäft war, es nannte.«
»Nun, ich sage meistens Kunde«, entgegnet Mr. Snagsby.
»Sie haben recht!« Mr. Bucket schüttelt ihm freundschaftlich die Hand. »Ihnen und zu gleicher Zeit einem wirklich guten Kunden zuliebe werden Sie mit mir ganz im Vertrauen einen Besuch in 'Toms Einöd' machen und über die ganze Geschichte für alle Zeiten schweigen und sie niemandem gegenüber erwähnen. Das ist so etwa Ihre Absicht, wenn ich Sie recht verstehe.«
»Sie haben ganz recht, Sir, Sie haben ganz recht«, sagt Mr. Snagsby. »Also hier ist Ihr Hut; und wenn Sie fertig sind, ich bin bereit.«
Die beiden verlassen Mr. Tulkinghorn, der, ohne daß sich die Oberfläche seiner unergründlichen Tiefen auch nur im geringsten kräuselt, seinen alten Wein weitertrinkt, und treten auf die Straße.
»Sie kennen wohl nicht zufällig einen wackern Mann namens Gridley, oder ja?« fragt Bucket freundschaftlich so nebenbei, als sie die Treppe heruntergehen.
»Nein«, sagt Mr. Snagsby nachdenklich. »Ich kenne niemanden dieses Namens. Warum?«
»Es ist nichts Besonderes. Er hat ein bißchen seinem Temperament die Zügel schießen lassen, sich gegen einige respektable Leute Drohungen erlaubt und hält sich jetzt vor einem Vorführungsbefehl versteckt, den ich gegen ihn habe –, was ein vernünftiger Mann nicht tun sollte.«
Wie sie durch die Straßen eilen, macht Mr. Snagsby die merkwürdige Beobachtung, daß, so schnellen Schrittes sie auch gehen, sein Begleiter stets in einer ganz undefinierbaren Art zu lauern und zu schleichen scheint und jedes Mal, wenn er rechts oder links abbiegen will, vorher den festen Vorsatz heuchelt, geradeaus zu gehen und erst im allerletzten Augenblick knapp abschwenkt. Dann, wenn sie an einem Polizeimann vorbeikommen, bemerkt Mr. Snagsby, daß sowohl der Konstabler wie auch Mr. Bucket auffallend zerstreut werden, einander ganz übersehen und ins Leere zu blicken scheinen.
Ein paar Mal holt Mr. Bucket einen oder den andern klein gewachsenen jungen Mann mit einem glänzenden Hut und glattem, zu großen Locken an jedem Ohr gedrehtem Haar ein und berührt ihn, fast ohne ihn anzusehen, mit seinem Stock, worauf sich jedes Mal der betreffende junge Mann umsieht und augenblicklich verduftet. Meistens nimmt Mr. Bucket derlei Vorgänge mit einem Gesicht zur Kenntnis, das sich so wenig verändert wie der große Trauerring an seinem kleinen Finger oder sein Chemisettknopf, der nicht besonders viel Diamanten, aber dafür eine sehr dicke Fassung hat.
Als sie endlich 'Toms Einöd' erreichen, bleibt Mr. Bucket einen Augenblick an der Ecke stehen, läßt sich von dem dort patrouillierenden Schutzmann eine angezündete Blendlaterne geben, worauf ihn dieser, die eigne Blendlaterne am
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