Bleakhouse
kleinen Künsten: Politur, Politur! Abermals spornt uns das schöne Geschlecht an und belohnt uns durch seine liebenswürdige Gegenwart. Es bedeutet schon sehr viel in diesen Zeiten – und wie sehr sind wir seit den Tagen Seiner Königlichen Hoheit des Prinzregenten, meines Gönners, wenn ich so sagen darf, entartet –, zu sehen, daß der Anstand nicht ganz von Handwerkern mit Füßen getreten wird und daß noch das Lächeln der Schönheit auf ihn herabglänzt, gnädiges Fräulein.«
Ich konnte keine passende Antwort finden, und er nahm noch eine Prise.
»Lieber Sohn«, wendete er sich zu Prince, »du hast heute nachmittag vier Stunden zu geben. Ich würde dir raten, schnell ein paar Sandwichs zu essen.«
»Ich danke dir, Vater«, antwortete Prince, »ich werde pünktlich sein. Lieber Vater, darf ich dich bitten, dich auf das gefaßt zu machen, was ich dir zu sagen habe?«
»Gütiger Himmel!« rief das Anstandsmusterbild aus, blaß und erschrocken, als Prince und Caddy Hand in Hand vor ihm niederknieten. »Was bedeutet das? Ist das Verrücktheit? Oder was sonst?«
»Vater«, begann Prince mit großer Unterwürfigkeit, »ich liebe diese junge Dame, und wir sind verlobt.«
»Verlobt!« rief Mr. Turveydrop, lehnte sich in das Sofa zurück und verhüllte sich das Gesicht mit der Hand. »Ein Pfeil in mein Hirn geschleudert von meinem eignen Kinde!«
»Wir sind schon seit einiger Zeit verlobt, Vater«, stammelte Prince. »Und Miß Summerson, die davon hörte, riet uns, dir die Sache mitzuteilen, und war so außerordentlich liebenswürdig, uns heute hierher zu begleiten. Miß Jellyby ist eine junge Dame, die dich im höchsten Grade schätzt, Vater!«
Mr. Turveydrop ließ ein Stöhnen hören.
»Nicht, Vater, nicht«, flehte der Sohn. »Miß Jellyby schätzt dich außerordentlich hoch, und unser heißester Wunsch ist, dir jede mögliche Bequemlichkeit zu schaffen.«
Mr. Turveydrop seufzte laut.
»Nicht, bitte nicht, Vater«, flehte Prince wieder.
»Mein Junge«, ächzte Mr. Turveydrop, »es ist gut, daß deiner seligen Mutter dieser Schlag erspart blieb. Stoß zu und schone mich nicht. Triff mich ins Herz, mein Sohn, triff mich ins Herz!«
»Ich bitte dich, Vater, sprich nicht so!« jammerte Prince unter Tränen. »Es zerreißt mir das Herz. Ich versichere dir, Vater, unser heißester Wunsch ist, dir jede Bequemlichkeit zu schaffen. Caroline und ich kennen unsre Pflicht. Was für mich Pflicht ist, ist es auch für Caroline, wie wir oft miteinander besprochen haben. Und mit deiner Bewilligung und Zustimmung, Vater, wollen wir alles tun, um dir das Leben so angenehm wie möglich zu machen.«
»Triff mich ins Herz«, murmelte Mr. Turveydrop. »Triff mich ins Herz!«
– Aber er schien auch zu horchen, wie mir vorkam. –
»Lieber Vater, wir wissen recht gut, daß du an mancherlei kleine Bequemlichkeiten gewöhnt bist und Anspruch darauf hast, und es wird unsre größte Sorge und unser Stolz sein, in erster Linie dafür zu sorgen. Wenn du uns mit deiner Einwilligung und Zustimmung glücklich machen willst, Vater, wollen wir gar nicht eher heiraten, als bis es dir paßt, und wenn wir einmal verheiratet sind, werden wir natürlich an dich in erster Reihe denken. Du mußt hier immer das Oberhaupt bleiben, Vater, und wir fühlen, wie widernatürlich es wäre, wenn wir anders dächten oder wenn es uns nicht gelingen sollte, dir in jeder Hinsicht das Leben angenehm zu gestalten.«
Mr. Turveydrop kämpfte einen schweren innerlichen Kampf durch und saß jetzt wieder im Sofa aufrecht, die dicken Backen über die steife Halsbinde hängend; ein vollendetes Muster väterlichen Anstandes.
»Mein Sohn«, sagte er, »meine Kinder! Ich kann euern Bitten nicht widerstehen. Seid glücklich!«
Sein gütiges Wohlwollen, mit dem er seine künftige Schwiegertochter emporhob, seinem Sohn die Hand reichte und Caddy küßte, wirkte geradezu verwirrend auf mich.
»Meine Kinder!« – Mr. Turveydrop schlang väterlich den linken Arm um Caddy, die neben ihm saß, und stemmte die rechte Hand graziös in die Hüfte. – »Mein Sohn und meine Tochter! Euer Glück wird mir beständig am Herzen liegen. Ich will über euch wachen. Ihr sollt immer bei mir wohnen«, – damit meinte er natürlich, er wolle stets bei ihnen wohnen – »dieses Haus ist von jetzt an das eure so gut wie das meine. Betrachtet es als euer eignes Heim. Möget ihr lange leben, es mit mir zu teilen.«
Die Macht seiner Allüren war so groß, daß Caddy und
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