Bleakhouse
ich mich wieder stillglücklich. Es war mir ein großer Trost, nach dem Tee zu mir sagen zu können: Liebe Esther, ich glaube, du bist jetzt verständig genug, um dich hinzusetzen und einen Dankesbrief an deinen liebenswürdigen Wirt zu schreiben. Er hatte einen Bewillkommnungsbrief an mich zurückgelassen, der so sonnig war wie sein eignes Gesicht, und seinen Vogel meiner Obhut anvertraut, worin ich das höchste Zeichen seines Vertrauens sah. Ich schrieb ihm ein Billett nach London, erzählte ihm, was alle seine Lieblingspflanzen und Bäume machten und wie der wunderbarste aller Vögel mir mit seinem Gezirp auf gastfreundschaftlichste Weise die Honneurs des Hauses gemacht habe und jetzt, nachdem er zum unsäglichen Entzücken meiner kleinen Zofe auf meiner Schulter gesungen, in der gewöhnlichen Ecke seines Käfigs schlafen gegangen sei. Ob er dabei träume oder nicht, sei ich außerstande zu berichten.
Nachdem ich meinen Brief beendet und auf die Post geschickt hatte, blieb mir viel mit dem Auspacken und Ordnen meiner Sachen zu tun, und ich schickte deshalb Charley zeitig zu Bett, da ich ihrer diesen Abend nicht weiter bedürfe.
Ich hatte nämlich noch nicht in den Spiegel gesehen und auch meinen eignen nicht zurückverlangt. Deshalb wollte ich allein sein und sagte mir, wie ich jetzt in meinem Zimmer ungestört war: Esther, wenn du glücklich sein und ein Recht haben willst, zu beten, treu und wahr zu bleiben, mußt du jetzt Wort halten. Ich war fest entschlossen, es zu halten, aber ich setzte mich erst eine Weile hin, um mir all das Gute, das mir widerfahren, nochmals vor Augen zu führen.
Das Haar hatte man mir nicht abgeschnitten, obgleich es mehr als einmal gefährdet gewesen war. Es war noch lang und stark. Ich löste es, ließ es herunterfallen und trat vor den Toilettenspiegel. Man hatte ihn mit einem Musselinevorhang verhüllt. Ich zog die Gaze zurück. Ich hatte mich sehr verändert – ach, sehr, sehr. Anfangs war mir mein Gesicht so fremd, daß ich es fast mit den Händen bedeckt und wahrscheinlich zurückgefahren wäre, wenn ich vorher meine Gedanken nicht gesammelt hätte. Bald aber gewöhnte ich mich mehr daran und lernte dadurch die Größe der Veränderung nur noch genauer kennen.
Sie war nicht von der Art, wie ich sie erwartete. Ich war nie schön gewesen und hatte mich nie dafür gehalten, aber ich hatte doch ganz anders ausgesehen. Jetzt war alles verschwunden. Es gelang mir mit ein paar durchaus nicht bittern Tränen, mich damit abzufinden, und ich band mir das Haar für die Nacht auf und konnte mit wirklich dankbarem Herzen vor dem Spiegel stehen.
Eine Sache beunruhigte mich, und ich mußte lange darüber nachdenken, ehe ich einschlief. Ich hatte den Blumenstrauß von Mr. Woodcourt aufgehoben, die Blumen getrocknet und in ein Buch, das mir teuer war, gelegt. Niemand wußte das, selbst Ada nicht. Ich schwankte, ob ich recht täte, ein Geschenk aufzubewahren, das er früher einer andern gegeben – ob es edel gegen ihn war. Ich wollte selbst in den heimlichsten Tiefen meiner Seele edel gegen ihn sein, weil ich ihn einst hätte lieben und ihm mein Herz ganz widmen können. Endlich kam ich zu dem Schluß, daß ich es behalten dürfte, wenn auch nur als eine Erinnerung an etwas, das unwiderruflich vorüber war.
Ich stand absichtlich am nächsten Morgen zeitig auf, um vor dem Spiegel sitzen zu können, wenn Charley wie gewöhnlich auf den Zehenspitzen hereinkäme.
»O Gott, Miß!« rief sie und fuhr zurück, als sie mich so sah.
»Ja, Charley«, sagte ich und steckte mir ruhig das Haar auf. »Ich befinde mich ganz wohl dabei und fühle mich vollkommen glücklich.«
Ich sah, welche Last ihr von der Seele fiel. Aber bei mir war die Erleichterung noch bei weitem größer. Ich kannte jetzt das Schlimmste und hatte mein seelisches Gleichgewicht wiedergewonnen.
Von dem Wunsch erfüllt, noch vor Adas Ankunft ganz wieder bei Kräften und guter Laune zu sein, entwarf ich mit Charley eine Reihe von Plänen, die uns ermöglichen sollten, den ganzen Tag im Freien zu sein. Wir wollten vor dem Frühstück spazieren gehen und zeitig zu Mittag essen und dazwischen uns ebenfalls im Freien und nach dem Tee im Garten aufhalten, uns zeitig schlafen legen, jeden Hügel der Nachbarschaft besteigen und jeden Weg durch Gebüsch und Feld durchforschen. Was kräftigende Speisen und kleine Stärkungsmittel betraf, war Mr. Boythorns gutherzige Haushälterin beständig mit etwas zu essen oder zu trinken bei der
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