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Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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gewesen wäre. Aber so lenkte ich in den Pfad ein, der dicht daran vorbeiführte.
    Ich wagte nicht, stehen zu bleiben oder aufzublicken, aber ich ging an dem Terrassengarten mit seinen reichen Düften und seinen breiten Gängen, den wohlgepflegten Beeten und dem geschornen Rasen vorüber. Ich sah, wie schön und ernst er war, wie an den alten steinernen Balustraden und Brustlehnen und den breiten Treppen mit den niedrigen Stufen Zeit und Wetter genagt hatten, wie Moos und Efeu sie und das alte steinerne Piedestal der Sonnenuhr umwucherten, und ich hörte das Plätschern der Springbrunnen. Dann führte mich der Weg an langen Reihen dunkler Fenster vorüber, unterbrochen von bezinnten Türmen und Pforten in exzentrischen Formen, wo alte steinerne Löwen und groteske Ungeheuer vor dunkeln schattigen Höhlen sich aufbäumten und, mit Wappenschildern in den Klauen, das Abendgrauen anfletschten. Von da ging der Pfad unter einem Torweg hinweg über einen Hof mit dem Haupteingang und an den Stallungen vorbei. Tiefe Stimmen lebten im Rauschen des Windes auf, in der dicken, sich an einer hohen roten Ziegelmauer hinaufschlingenden Efeudecke, in dem leisen Ächzen des Wetterhahns, im Bellen der Hunde und in dem langsamen Dröhnen einer Uhr. Ein süßer Geruch von den rauschenden Linden traf mich, und ich wendete mich, wie der Pfad sich dahinwand, nach der Südfront, und über mir erblickte ich die Balustrade des Geisterwegs und ein helles Fenster. Vielleicht war es das meiner Mutter.
    Der Weg war hier gepflastert wie die über mir befindliche Terrasse, und meine Schritte, bisher unhörbar gewesen, hallten jetzt laut auf den steinernen Platten wider. Ich blieb nirgends stehen, um mir etwas zu betrachten, aber ich sah alles beim Vorübergehen. Ich eilte rasch weiter und wäre in wenigen Augenblicken an dem erhellten Fenster vorbeigekommen, da brachte mich der Widerhall meiner Schritte plötzlich auf den Gedanken, in der Sage vom »Geisterweg« könne eine schreckliche Wahrheit liegen. Ich selbst könne bestimmt sein, Unglück über das stolze Haus zu bringen, und meine eignen warnenden Schritte spukten jetzt darin. Von einem Grauen vor mir selbst erfaßt, das mein Blut gerinnen machte, entfloh ich vor mir selbst und eilte auf dem Weg zurück, den ich gekommen, und schöpfte erst wieder Atem, als ich das Haus des Pförtners erreichte und in schweren schwarzen Massen der Park hinter mir lag.
    Erst als ich in meinem Zimmer wieder für die Nacht allein war, bekümmert und unglücklich, wurde mir klar, wie unrecht und undankbar ich war. Ein Brief von meinem Herzensliebling, der morgen kommen wollte, wurde mir übergeben. Ein heiterer Brief voll so liebreicher Vorfreude, daß ich hätte von Stein sein müssen, wenn er mich nicht gerührt hätte. Auch mein Vormund schrieb, er bäte das Mütterchen, wenn ich es vielleicht irgendwo treffen sollte, zu grüßen und ihm zu sagen, wie jämmerlich sie sich ohne mich befunden hätten. Die Wirtschaft ginge aus allen Fugen, und niemand sonst könne die Schlüssel führen – jeder im Hause erkläre, es sei ganz verändert, und alle drohten mit Rebellion, wenn ich nicht bald zurückkäme. Die beiden Briefe führten mir vor Augen, wieweit über Verdienst man mich liebe und wie glücklich ich mich fühlen müsse. Das brachte mich darauf, über mein ganzes vergangenes Leben nachzudenken, und – was schon längst hätte geschehen sollen –ich kam in eine bessere Stimmung.
    Ich sah recht gut ein, daß es nicht meine Bestimmung hatte sein können, zu sterben, sonst hätte ich nicht gelebt – um nicht zu sagen, sonst wäre ich nie für ein so glückliches Leben aufgespart worden. Ich erkannte, wieviel Umstände für mein Wohlergehen zusammen gewirkt hatten, und daß, wenn die Sünden der Väter manchmal an ihren Kindern heimgesucht würden, dies Wort nicht die Bedeutung haben könnte, die ich ihm heute morgen unterlegt. Ich begriff, daß ich an meiner Geburt ebensowenig schuld war wie die Königin an der ihren und von dem Vater im Himmel nicht für meine Geburt bestraft worden sein könnte, ebensowenig wie eine Königin dafür belohnt werden würde. Die erschütternden Ereignisse des heutigen Tages müßten mich belehren, daß ich sogar so bald schon einen mildernden Trost in der über mich gekommenen Veränderung finden könnte. Ich fühlte mich bestärkt in meinen alten Entschlüssen und flehte um Kraft und schüttete mein Herz aus in einer Bitte für meine unglückliche Mutter und mich und

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