Bleakhouse
ich einen kurzen Besuch von einigen Stunden in London, wozu mich eine in dem in Chesney Wold vernichteten Briefe enthalten gewesene Äußerung bestimmte.
Ich schützte einen Besuch bei Caddy Jellyby – ihr Mädchenname war mir so zur Gewohnheit geworden, daß ich sie stets so nannte – vor und schrieb ihr ein Billett, mit der Bitte, sie möge mich auf einem kleinen Geschäftsweg begleiten. Ich brach sehr früh am Morgen auf und kam mit der Landkutsche so zeitig nach London, daß ich den ganzen Tag noch vor mir hatte, als ich nach Newmanstreet ging.
Caddy, die mich seit ihrem Hochzeitstag nicht mehr gesehen hatte, freute sich so und war so zärtlich zu mir, daß ich fast schon fürchtete, es würde ihren Mann eifersüchtig machen. Aber er benahm sich ebenso schlimm – ich meine, ebenso liebenswürdig... Kurz, es war die alte Geschichte, die alte Verschwörung, mir Liebes zu erweisen.
Der alte Mr. Turveydrop lag noch im Bett, wie ich hörte, und Caddy kochte seine Schokolade, die ihm dann ein melancholisch aussehender kleiner Junge, ein Lehrling – es war so sonderbar, ein Tanzlehrling zu sein –, hinauftragen sollte.
Ihr Schwiegervater sei ausnehmend gütig und nachsichtig, sagte mir Caddy, und sie lebten sehr glücklich zusammen. Wenn sie von einem Zusammenleben sprach, verstand sie darunter, daß der alte Herr allen Komfort und alle besseren Zimmer für sich hatte, während sie und ihr Gatte mit dem vorlieb nahmen, was übrig blieb, und in zwei Eckstuben über dem Marstall eingepfercht hausten.
»Was macht deine Mutter, Caddy?« fragte ich.
»Ich höre bloß von ihr durch Papa, liebe Esther, bekomme sie aber wenig zu Gesicht. Es freut mich, sagen zu können, daß wir gut miteinander auskommen, aber sie hält es immer noch für eine Albernheit, daß ich einen Tanzmeister geheiratet habe, und scheint fast zu fürchten, dieser Einfluß könne sich auch auf sie erstrecken und sie anstecken.«
Ich dachte mir, wenn Mrs. Jellyby ihren eignen natürlichen Verpflichtungen und Obliegenheiten nachgekommen wäre, anstatt am fernen Horizont mit einem Teleskop nach andern weit abliegenden zu suchen, würde sie sich am besten vor einer Ansteckung durch Albernheit geschützt haben. Aber selbstverständlich behielt ich diese Ansicht für mich.
»Und dein Papa, Caddy?«
»Er kommt jeden Abend zu uns und sitzt so friedlich dort in der Ecke, daß es eine wahre Lust ist, ihn zu sehen.«
Ein Blick in die Ecke zeigte mir deutlich die Spur von Mr. Jellybys Kopf an der Wand. Es war ein Trost, zu wissen, daß er einen solchen Ruheplatz dafür gefunden hatte.
»Und du, Caddy«, sagte ich, »bist gewiß immer beschäftigt, möchte ich wetten.«
»Allerdings bin ich das, meine Liebe, denn um dir ein großes Geheimnis zu verraten, ich bereite mich vor, selbst Unterricht zu geben. Princes Gesundheit ist nicht allzu gut, und ich möchte ihm gerne helfen. Mit dem Unterricht hier und den Privatschülern und Lehrlingen hat der arme Kerl wahrhaftig mehr als zuviel zu tun.«
Ich konnte mir noch immer nicht recht vorstellen, was eigentlich ein Tanzlehrling sei, und fragte Caddy, ob sie denn so viele hätten.
»Vier«, erklärte mir Caddy. »Einen hier und drei außer dem Hause. Es sind sehr gute Jungen, aber sie können es nicht lassen, zu spielen, ganz wie Kinder, wenn sie zusammenkommen, anstatt sich um den Beruf zu kümmern. Deshalb tanzt der kleine Junge, den du soeben gesehen hast, jetzt in der leeren Küche Walzer, und die andern verteilen wir im Hause, so gut es eben geht.«
»Natürlich nur, um die Tanzschritte zu lernen?« fragte ich.
»Nur um die Tanzschritte zu lernen. Auf diese Art üben sie sich viele Stunden hintereinander in den Pas. Sie tanzen in der Akademie, und in dieser Jahreszeit üben wir die Touren täglich von fünf Uhr früh an.«
»Was für ein mühseliges Leben!« rief ich aus.
»Ich versichere dir, meine Liebe«, entgegnete Caddy lächelnd, »wenn die außer Haus wohnenden Lehrlinge uns des Morgens aufklingeln – die Klingel führt in unser Zimmer, um den alten Mr. Turveydrop nicht zu stören – und ich das Fenster in die Höhe schiebe und sie mit ihren kleinen Tanzschuhen unter dem Arm auf der Torschwelle stehen sehe, kommen sie mir manchmal wie Rauchfangkehrerzwerge vor.«
Das alles stellte mir die Kunst in einem eigentümlichen Lichte dar. Caddy schwelgte in ihren Mitteilungen und malte mir heiter die Einzelheiten ihres eignen Studiums aus.
»Siehst du, meine Liebe, damit wir Geld sparen,
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