Bleakhouse
muß ich ein wenig Piano spielen können und auch ein bißchen Violine. Daher muß ich mich auf diesen beiden Instrumenten üben, ohne dabei unser Spezialfach vernachlässigen zu dürfen. Wenn mich Ma nur halbwegs vernünftig erzogen hätte, wäre ich wenigstens ein klein wenig musikalisch geschult gewesen. So aber war der Anfang ein bißchen entmutigend, muß ich gestehen, aber ich habe ein recht gutes Gehör und bin an Plackerei gewöhnt – dafür wenigstens muß ich Ma dankbar sein –, und wo der Wille gut ist, gibt es auch überall in der Welt einen Weg. Das weißt du ja selbst, Esther.«
Mit diesen Worten setzte sich Caddy an einen kleinen Klimperkasten und rasselte wirklich fehlerlos und mit großer Lebendigkeit eine Quadrille herunter. Fröhlich und errötend stand sie dann wieder auf und sagte: »Bitte, liebe Esther, lach mich nicht aus.«
Ich hätte lieber weinen mögen, tat aber keins von beiden. Ich sprach ihr Mut zu und lobte sie von ganzem Herzen. Ich begriff, daß sie, wenn auch nur die Frau eines Tanzmeisters und in ihrem bescheidnen Ehrgeiz bestrebt, nur eine Tanzlehrerin zu werden, doch aus Liebe ein natürliches und gesundes Betätigungsfeld für ihren Fleiß und ihre Ausdauer gefunden hatte, das ebenso gut war wie eine Mission.
»Liebe Esther, du kannst dir gar nicht denken, wieviel Mut mir dein Beispiel immer gibt«, sagte Caddy fröhlich. »Ich verdanke dir, du weißt gar nicht, wieviel. Was hat sich alles in meiner kleinen Welt geändert. Erinnerst du dich noch jenes Abends, wo ich so unhöflich und tintenbekleckst war? Wer hätte damals an die Möglichkeit gedacht, daß ich Tanzunterricht erteilen würde.«
Ihr Gatte, der uns während dieser Plauderei allein gelassen hatte, kehrte jetzt zurück, bevor er die Stunde für die Lehrlinge im Tanzsaal anfing, und Caddy sagte mir, sie stünde jetzt ganz zu meiner Verfügung. Aber meine Zeit war noch nicht gekommen, wie ich ihr zu meiner Freude sagen konnte, denn es hätte mich geschmerzt, sie jetzt zu entführen. Deshalb gingen wir alle drei zu den Lehrlingen, und ich nahm mit an der Tanzstunde teil.
Die Lehrlinge waren ein wunderliches kleines Volk. Außer dem melancholisch aussehenden Jungen, den, wie ich hoffte, nicht das Alleintanzen in der Küche so trübe gestimmt hatte, waren noch zwei andre Knaben und ein schmutziges, schlampig angezognes kleines Mädchen in einem Gazekleid da. Die kleinen Jungen zogen, wenn sie nicht gerade tanzten, allerhand Bindfaden, Marmeln und Hühnerknochen aus der Tasche, hatten so schmutzige Beine und Füße wie nur möglich und schiefgetretne Absätze. Das frühreife kleine Mädchen trug einen großen altväterischen Gazehut und hatte ihre Tanzschuhe in einem alten abgenutzten Samtstrickbeutel mitgebracht. Ich fragte Caddy, was denn die Eltern der Kleinen veranlaßt habe, ihre Kinder zu einem solchen Gewerbe zu bestimmen. Caddy wußte es nicht und meinte, sie sollten später wahrscheinlich selbst Unterricht geben oder vielleicht im Theater auftreten. Die Eltern seien durchwegs unbemittelte Leute und die Mutter des melancholisch aussehenden Jungen verkaufe Ingwerbier.
Wir tanzten eine Stunde lang mit großem Ernst, und das melancholische Kind verrichtete Wunder mit seinen unteren Extremitäten. Die Tanzbegeisterung schien ihm aber nie über die Hüfte hinaufzusteigen.
Caddy beobachtete unablässig ihren Gatten und hatte sich eine natürliche Anmut und Unbefangenheit angeeignet, die in Verbindung mit ihrem hübschen Gesicht und ihrer schlanken Gestalt sie ungemein anziehend erscheinen ließen. Sie half ihm bereits im Unterrichten der Kinder, und er mischte sich selten ein, außer um seinen Teil bei den Touren zu tanzen, oder wenn er etwas Besonderes vormachen mußte. Er spielte immer die Melodie. Die Geziertheit des in Gaze gekleideten Mädchens und ihre Herablassung gegenüber den Jungen war ein Anblick für Götter. – So tanzten wir also eine geschlagne Stunde lang.
Als die Übungen vorüber waren, machte sich Caddys Gatte fertig, um außerhalb der Stadt in einer Schule Lektionen zu geben, und Caddy lief fort und zog sich an, um mit mir auszugehen.
Ich blieb unterdessen in dem Tanzsaal sitzen und betrachtete mir die Lehrlinge. Die beiden außer dem Hause wohnenden Knaben gingen die Treppe hinauf, um ihre Schuhe zu wechseln und den hier wohnenden Jungen an den Haaren zu beuteln, wie ich aus seinen lauten Einwendungen schloß. Als sie dann mit zugeknöpften Jacken und darunter gesteckten Tanzschuhen
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