Bleakhouse
Tatsache und dem Namen nach. Das ist etwas. Niemand kann jetzt willkürlich damit verfahren, Sir. Und das ist gewiß etwas.« Richard wird plötzlich rot im Gesicht und schlägt mit der geballten Faust auf das Pult.
»Mr. Vholes! Wenn mir jemand gesagt hätte, als ich zuerst John Jarndyces Haus betrat, er sei etwas andres als der selbstlose Freund, für den er sich gab, sondern das, als was er sich allmählich entpuppt hat, ich hätte nicht genug starke Worte finden können, um eine solche Verleumdung zurückzuweisen – ich hätte ihn nicht warm genug verteidigen können. So wenig kannte ich die Welt! Aber jetzt, sage ich Ihnen, kommt er mir vor wie der personifizierte Prozeß selbst. Der Rechtsstreit ist nichts Abstraktes mehr, er ist John Jarndyce selbst. Je mehr ich leide, desto mehr zürne ich über ihn, und jede neue Enttäuschung bedeutet einen neuen Schlag von John Jarndyces Hand.«
»Nein, nein«, sagt Vholes. »Sagen Sie das nicht. Wir alle müssen Geduld haben. Überdies rede ich nie jemandem Böses nach, Sir. Es ist ein Grundsatz von mir.«
»Mr. Vholes! Sie wissen so gut wie ich, daß er den Prozeß abgebrochen hätte, wenn es möglich gewesen wäre«, entgegnet Richard zornig.
»Er hat nicht direkt Schritte dagegen getan«, gibt Mr. Vholes anscheinend widerwillig zu. »Nicht direkt Schritte. Aber immerhin, er kann freundschaftliche Absichten dabei gehabt haben. Wer kann im Herzen der Menschen lesen, Mr. C.!?«
»Sie!«
»Ich, Mr. C.?«
»Immerhin gut genug, um zu wissen, was seine Absichten waren. Widerstreiten sich unsre Interessen, oder widerstreiten sie sich nicht? Sagen – Sie – selbst!« Richard begleitet die drei letzten Worte mit drei heftigen Schlägen auf den Fels seines Vertrauens.
»Mr. C.«, gibt Vholes, ohne sich zu bewegen und auch nur ein einziges Mal mit seinen hungrigen Augen zu zwinkern, zur Antwort:
»Ich würde meine Pflicht als Ihr Rechtsbeistand verletzen, Ihren Interessen untreu werden, wenn ich sie als identisch mit denen Mr. Jarndyces darstellte. Sie sind es nicht, Sir. Ich schiebe nie Motive unter. Ich habe einen Vater und bin selbst Vater und schiebe nie Motive unter, aber ich darf andererseits meine Pflicht als Anwalt nicht verletzen, selbst wenn dadurch Zwietracht in Familien gesät wird. Ich bin der Meinung, Sir, Sie ziehen mich jetzt doch in meiner Eigenschaft als Ihr Anwalt hinsichtlich Ihrer Interessen zu Rate? Ist es so? Also, dann antworte ich: Nein, sie sind nicht identisch mit denen Mr. Jarndyces.«
»Natürlich sind sie's nicht!« ruft Richard. »Sie haben das schon längst herausgefunden.«
»Mr. C.«, fährt Vholes fort. »Über fremde Parteien möchte ich nicht mehr sagen, als unbedingt notwendig ist. Ich wünsche meinen Namen außer dem kleinen Vermögen, das ich mir vielleicht durch Fleiß und Ausdauer erwerbe, meinen Töchtern Emma, Jane und Karoline unbefleckt zu hinterlassen. Ich wünsche auch in brüderlicher Freundschaft mit meinen Berufskollegen zu leben. Als Mr. Skimpole mir die Ehre erwies, Sir – ich sage absichtlich nicht, die außerordentliche Ehre, denn ich lasse mich nie zu Schmeicheleien herab –, uns hier in der Kanzlei zusammenzubringen, da äußerte ich, daß ich hinsichtlich Ihrer Interessen keine Meinung abgeben und auch keinen Rat erteilen könnte, solange diese Interessen in den Händen eines Berufskollegen lägen, und ich sprach mich so anerkennend über die Firma Kenge & Carboy aus, wie sie es auch tatsächlich verdient.
Sie fanden sodann für gut, Ihre Vertretung diesen Herren zu entziehen und sie mir anzuvertrauen. Sie brachten sie mit reinen Händen, Sir, und ich nahm sie mit reinen Händen entgegen. Ihre Interessen gehen jetzt in meiner Kanzlei allen andern vor. Meine Verdauung, wie Sie mich vielleicht schon haben äußern hören, ist nicht im besten Zustand, und Ruhe könnte sie verbessern. Aber ich werde mir keine Ruhe gönnen, Sir, solange ich Sie vertrete. So oft Sie mich brauchen, werden Sie mich hier finden. Rufen Sie mich, wohin Sie wollen, und ich werde kommen. Während der langen Ferien, Sir, werde ich meine Mußestunden dazu benützen, Ihre Interessen noch gründlicher zu studieren und Anordnungen zu treffen, nach dem Michaelitermin Himmel und Erde (den Kanzler natürlich eingeschlossen) in Bewegung zu setzen, und wenn ich Ihnen dann endlich Glück wünschen kann, Sir«, sagt Mr. Vholes mit der ganzen sittlichen Strenge eines fest entschlossnen Mannes, »wenn ich Ihnen dann endlich von ganzem Herzen
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