Bleakhouse
wischt sich die Augen. »Gott sei Dank. Ja, Sir Leicester.«
Erfüllt ihn dieses Wiederfinden eines Verlorengeglaubten, diese Rückkehr eines so lange Verschollenen mit neuen Hoffnungen für sich selbst? Denkt er: »Und ich sollte sie nicht wiederfinden, wo mir so viel Mittel zu Gebote stehen? Wo in ihrem Falle weniger Stunden vergangen sind als Jahre in diesem?«
Alle Bitten sind vergebens; er ist jetzt fest entschlossen zu sprechen, und er spricht. Die Töne drängen sich verwirrt aus seinem Munde, aber dennoch kann man einige Sätze daraus verstehen.
»Warum haben Sie mir es nicht gesagt, Mrs. Rouncewell?«
»Es ist erst gestern geschehen, Sir Leicester, und ich fürchtete, es könne Ihrem Zustand schaden, wenn ich Ihnen solche Sachen mitteilte.«
Außerdem erinnert sich plötzlich die jugendlich unbesonnene Volumnia mit ihrem herzigen Lieblingsschrei, daß ja niemand wissen dürfte, daß es Mrs. Rouncewells Sohn sei, und sie es nicht habe sagen sollen. Aber Mrs. Rouncewell protestiert mit Wärme, daß sie es selbstverständlich Sir Leicester sofort gesagt hätte, sowie sich sein Zustand gebessert haben würde.
»Wo ist Ihr Sohn George, Mrs. Rouncewell?« fragt Sir Leicester.
Nicht wenig beunruhigt, daß er die Vorschriften des Arztes so wenig beachtet, antwortet sie: »In London.«
»Wo in London?«
Mrs. Rouncewell ist genötigt, einzugestehen, daß er sich im Hause befindet.
»Bringen Sie ihn her in mein Zimmer. Bringen Sie ihn sogleich.«
Die alte Dame muß ihm den Willen tun und ihren Sohn suchen. Sir Leicester legt sich, soweit das die Bewegungsfreiheit seiner Glieder zuläßt, zurecht, um ihn zu empfangen. Dann blickt er wieder hinaus in das Schneegestöber und horcht im Geiste auf die ersehnten Schritte; man hat die Straße unten mit Stroh belegt, um den Lärm zu dämpfen, und Mylady könnte vielleicht vor der Tür vorfahren, ohne daß er die Räder hörte. Er liegt ruhig da und denkt anscheinend nicht mehr an die neue und soviel weniger einschneidende Überraschung, als die Haushälterin, begleitet von ihrem Sohne, zurückkehrt. Mr. George nähert sich leise dem Bett, macht seine Verbeugung und bleibt militärisch stramm, das Gesicht von tief innerer Scham gerötet, stehen.
»Gott im Himmel, es ist wirklich George Rouncewell!« ruft Sir Leicester aus. »Erinnern Sie sich meiner noch, George?«
Der Kavallerist muß ihn erst eine Weile ansehen und sich die Worte innerlich wiederholen, ehe sie ihm klar bewußt werden, dann ermannt er sich aber, von seiner Mutter ein wenig ermuntert, und gibt zur Antwort:
»Ich müßte ein schlechtes Gedächtnis haben, Sir Leicester, wenn ich mich Ihrer nicht mehr erinnerte.«
»Wenn ich Sie ansehe, George Rouncewell«, bemerkt Sir Leicester mit schwerer Zunge, »muß ich wieder an den Jungen denken – in Chesney Wold – damals.«
Er sieht den Kavalleristen an, bis Tränen in seine Augen treten, und dann blickt er wieder hinaus auf das Wirbeln der Schneeflocken.
»Ich bitte um Verzeihung, Sir Leicester«, sagt der Kavallerist, »aber würden Sie mir vielleicht erlauben, Sie ein wenig in den Kissen aufzurichten? Sie würden bequemer liegen, Sir Leicester, wenn Sie mir gestatteten, Sie anders zu legen.«
»Bitte, George Rouncewell; wenn Sie so gut sein wollen.«
Der Kavallerist nimmt ihn in seine Arme wie ein Kind, hebt ihn mit Leichtigkeit empor und wendet ihn mit dem Gesicht mehr nach dem Fenster.
»Ich danke Ihnen, Sie haben die sanfte Hand Ihrer Mutter«, sagt Sir Leicester, »und sind so stark. Ich danke Ihnen.« Er gibt ihm mit der Hand ein Zeichen, nicht wegzugehen. George bleibt an seinem Bett stehen und wartet, bis er angeredet wird.
»Warum wünschten Sie denn, daß – Ihre Rückkehr – verschwiegen bliebe?« – Sir Leicester braucht einige Zeit, bis er die Frage herausbringt. –
»Man kann auf mich wohl kaum besonders stolz sein, Sir Leicester, und ich würde am liebsten noch eine Weile unbekannt im Dunkel geblieben sein, aber meine Mutter sagte mir, Sie wären krank; – aber hoffentlich geht das bald wieder vorüber. Ich müßte Ihnen da manches auseinandersetzen, was vielleicht nicht allzu schwer zu erraten ist, aber ich glaube, dazu ist die Zeit nicht besonders geeignet, und ich würde wohl auch nicht viel Ehre damit einlegen. Wenn auch in manchen Punkten die Meinungen vielleicht auseinander gehen mögen, eins ist wohl sicher, nämlich, daß wohl niemand Grund haben kann, auf mich stolz zu sein, Sir Leicester.«
»Sie sind
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