Bleakhouse
den Stäben hindurch und bleibt so stehen eine kleine Weile lang.
Mit einem alten Besen, den sie auf der Schulter trägt, kehrt sie die Stufe und fegt den Torweg rein. Sie tut das sehr geschäftig und geschickt, blickt wieder eine kleine Weile hinein und geht dann.
Jo, bist du's? Gut, gut! Wenn du auch ein zurückgewiesener Zeuge bist, der »nicht genau sagen kann«, was mit ihm eine mächtigere Hand als die der Menschen vorhat, steckst du doch nicht ganz in irdischer Finsternis. Es ist etwas wie ein ferner Lichtstrahl in der Begründung, die du murmelnd dafür angibst:
»Er is immer so gut gegen mich gwesen.«
12. Kapitel
Auf der Lauer
Endlich hat es aufgehört zu regnen in Lincolnshire, und Chesney Wold hat sich wieder ein Herz gefaßt. Mrs. Rouncewells Kopf steckt voll wirtschaftlicher Sorgen, denn Sir Leicester und Mylady kommen von Paris nach Hause. Die »Fashionable« hat es entdeckt und teilt die frohe Botschaft dem umnachteten England mit. Sie hat auch entdeckt, daß sie einen neuen glänzenden und auserwählten Kreis der
élite der beau monde
(die fashionablen Zeitungen sind schwach im Englischen und riesenstark im Französischen) auf dem historischen und gastlichen Familiensitz in Lincolnshire um sich sehen werden.
Zu Ehren der glänzenden und vornehmen Gesellschaft und nebenbei auch Chesney Wolds wegen ist der eingestürzte Brückenbogen im Park ausgebessert, und das Wasser, das sich jetzt in die gebührenden Schranken zurückgezogen hat und wieder anmutig überbrückt wird, macht sich in der Aussicht von dem Hause aus recht hübsch. Der klare, kalte Sonnenschein glitzert im raschelnden Wald und sieht billigend zu, wie der scharfe Wind die Blätter verstreut und das Moos trocknet. Er gleitet hinter dem Schatten der Wolken über den Wald hin und jagt sie den ganzen Tag lang und kann sie doch nicht erhaschen. Er sieht zu den Fenstern herein und bringt auf den Ahnenbildern Streifen und Flecken von Licht an, von denen die Maler sich nie haben träumen lassen. Querüber das Bild von Mylady über dem Prachtkamin malt er einen breiten Lichtschrägbalken, der von links hinab in den Herd fährt und ihn zu zerspalten scheint.
Durch denselben kalten Sonnenschein und denselben scharfen Wind fahren Mylady und Sir Leicester in ihrem Reisewagen heimwärts; Myladys Kammerzofe und Sir Leicesters Lakai sitzen in zärtlicher Gemeinschaft hinten. Unter beträchtlichem Geklingel und Peitschenknallen und zahlreichem Sichaufbäumen von zwei sattellosen Pferden und zwei Zentauren mit glasierten Hüten, Stulpenstiefeln und fliegenden Mähnen und Schweifen rasseln sie aus dem Hofe des Hotels Bristol auf den Place Vendôme hervor und traben zwischen der Sonnenschein- und schattenwechselnden Kolonnade der Rue de Rivoli und dem Garten des verhängnisreichen Palastes eines kopflosen Königspaars über den Place de la Concorde und die Elysäischen Felder durch das Sternentor aus Paris hinaus.
Um nur die Wahrheit zu sagen, sie können gar nicht schnell genug abreisen, denn selbst hier hat sich Lady Dedlock zu Tode gelangweilt. Konzert, Matinees, Oper, Theater, Spazierfahrt, nichts ist Mylady neu unter dieser abgenutzten Sonne. Erst vorigen Sonntag, wo arme Teufel fröhlich waren innerhalb der Stadt und in dem Palastgarten unter verschnittenen Bäumen und den Statuen mit ihren Kindern spielten oder auf den Elysäischen Feldern, noch elysäischer geworden durch künstliche Hunde und hölzerne Pferde, in Gassenbreite spazieren gingen oder draußen vor dem Tor um ganz Paris einen Kreis zogen von Tanzen, Liebelei, Weintrinken, Tabakrauchen, Gräberbesuchen, Billard-, Karten- und Dominospielen und unter Quacksalbern und anderm toten und lebendigen Abschaum, – erst vorigen Sonntag hätte Mylady in der Einsamkeit der Langweile und in den Klauen des Riesen Verzweiflung beinahe ihre eigne Zofe wegen deren guter Laune gehaßt.
Daher kann sie Paris jetzt nicht schnell genug verlassen. Seelische Ermüdung liegt vor ihr und hinter ihr – ihr Ariel hat einen Gürtel davon um die ganze Erde gelegt, den niemand lösen kann. Aber das einzige, wenn auch unzulängliche Heilmittel ist, immer von dem letzten Ort an einen andern zu fliehen. Also weg mit Paris! Man vertausche es mit endlosen Alleen und Queralleen winterlicher Bäume. Und wenn man wieder zum Vorschein kommt, so sei es einige Meilen weiter, wo das Sternentor nur mehr ein weißer, sonnenglänzender Fleck ist und die Stadt eine formlose, dunkle Masse in der Ebene, aus der sich zwei
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