Bleakhouse
ganze Seele den Großen der Erde gewidmet ist oder sich nur auf die Dienstleistungen, die er sich bezahlen läßt, beschränkt, ist sein persönliches Geheimnis. Er bewahrt es, wie er die Geheimnisse seiner Klienten bewahrt; er ist in dieser Sache sein eigner Klient und wird sich nie verraten.
»Wie geht es Ihnen, Mr. Tulkinghorn?« fragt Sir Leicester und streckt seine Hand aus.
Mr. Tulkinghorn befindet sich vollkommen wohl.
Sir Leicester und Mylady befinden sich ebenfalls sehr wohl. Alles höchst zufriedenstellend. Der Advokat geht, die Hände auf dem Rücken, neben Sir Leicester auf der Terrasse auf und ab. Mylady auf der andern Seite.
»Wir erwarteten Sie schon früher«, sagt Sir Leicester. Eine sehr gnädige Bemerkung. Das heißt soviel wie: Mr. Tulkinghorn, wir denken an Sie, selbst wenn Sie nicht hier sind und uns durch Ihre Anwesenheit an Ihre Existenz erinnern. Sie sehen, Sir, wir widmen Ihnen einen Teil unsrer Gedanken.
Mr. Tulkinghorn weiß das; er neigt das Haupt und sagt, er fühle sich außerordentlich verbunden.
»Ich wäre eher gekommen, wenn mich nicht die Prozesse zwischen Ihnen und Boythorn so sehr in Anspruch genommen hätten.«
»Ein sehr zügelloser Charakter«, bemerkt Sir Leicester mit Strenge. »Ein außerordentlich gefährlicher Mann für die menschliche Gesellschaft. Ein Mann von sehr niedriger Denkungsweise.«
»Er ist starrköpfig«, bestätigt Mr. Tulkinghorn.
»Ganz natürlich ist ein solcher Mensch starrköpfig«, sagt Sir Leicester und macht ein entsprechendes Gesicht. »Das wundert mich gar nicht.«
»Die einzige Frage ist nun«, fährt der Advokat fort, »ob Sie in einer Hinsicht nachgeben wollen.«
»Nein, Sir. Ausgeschlossen. Ich, nachgeben?«
»Ich meine keinen Punkt von Wichtigkeit. Natürlich würden Sie darin nicht nachgeben. Ich meine in einem nebensächlicheren Punkt.«
»Mr. Tulkinghorn«, erwidert Sir Leicester, »es kann zwischen mir und Mr. Boythorn keinen nebensächlichen Punkt geben. Wenn ich noch weiter gehe und sage, daß ich nicht begreife, wie irgendeins meiner Rechte ein nebensächlicher Punkt sein kann, so spreche ich nicht von mir allein, sondern in Bezug auf die Familientradition, die aufrecht zu erhalten mir obliegt.«
Mr. Tulkinghorn neigt wieder das Haupt.
»Ich bin jetzt instruiert«, sagt er. »Mr. Boythorn wird uns viel Ungelegenheiten machen.«
»Es liegt in der Natur eines solchen Charakters, Mr. Tulkinghorn, Unannehmlichkeiten zu bereiten. Ein ausnehmend übeldenkender, rebellischer Mensch. Ein Mensch, der vor fünfzig Jahren wahrscheinlich in Old-Bailey wegen demagogischer Umtriebe vor Gericht gestellt und streng bestraft worden wäre... Wenn man ihn nicht«, fügt Sir Leicester nach einer kurzen Pause hinzu, »gehenkt und gevierteilt hätte.«
– Sir Leicester scheint seine stolze Brust von einer Last zu befreien, indem er dies Todesurteil ausspricht. Das Aussprechen scheint ihm nach der wirklichen Vollstreckung des strengen Spruchs noch das beste zu sein. –
»Aber es wird Abend«, sagt er, »und Mylady könnte sich erkälten. Wollen wir vielleicht hineingehen?«
Als sie sich der Türe der Halle zuwenden, redet Lady Dedlock Mr. Tulkinghorn an:
»Sie ließen mir etwas über die Person sagen, nach deren Handschrift ich mich gelegentlich erkundigt habe. Es sieht Ihnen sehr ähnlich, daß Sie die Sache im Gedächtnis behielten; ich hatte sie schon ganz vergessen. Ihr Brief erinnerte mich wieder daran. Ich weiß nicht mehr, welche Ideenassoziation ich mit der Handschrift verbunden haben mag. Aber jedenfalls hatte ich eine dabei.«
»Wirklich?«
»O ja«, sagt Mylady leichthin. »Ich glaube, es muß irgendein Gedanke damit verbunden gewesen sein. Und Sie haben sich also wirklich die Mühe gegeben, den Schreiber dieses Dinges ausfindig zu machen...
Was war es gleich... Des Affidavits?«
»Ja.«
»Wie komisch!«
Sie treten in ein düsteres Frühstückszimmer im Erdgeschoß, das während des Tages von zwei tiefnischigen Fenstern erhellt wird. Es ist jetzt Zwielicht. Das Feuer glänzt hell an der getäfelten Wand und blaß auf den Fensterscheiben, hinter denen durch sein kaltes Spiegelbild die noch kältere Landschaft im Winde draußen zittert und ein grauer Nebel langsam einherkriecht: Der einzige Wanderer außer dem Wolkenheer.
Mylady ist in einem großen Lehnstuhl in der Kaminecke hingegossen, und Sir Leicester nimmt in einem andern großen Sessel ihr gegenüber Platz. Der Advokat steht vor dem Feuer und hält die Hand auf
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