Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
trat ich ihr gegen die Kniescheibe, aber statt umzufallen, zeigte sie mir, was ein echter Tritt war. Sie traf mich mitten auf der Brust, und ich war diejenige, die zu Boden ging. Als ich fiel, rutschte Schwänchen den nassen Gehweg runter, zusammen mit allem, was ich in meinen Manteltaschen hatte.
Ich konnte eine ganze Weile nicht atmen, was insofern ganz gut war, als ich mit dem Gesicht in einer Regenpfütze lag.
Sera drehte mich auf den Rück und beugte sich über mich. Ihre Augen waren hell von Regen und Bosheit. »Du glaubst, dir geht es jetzt schon schlecht«, sagte sie und riss mir den SCHLÜSSEL aus widerstandslosen Händen. »Was glaubst du, wie schlecht du dich fühlen wirst, wenn ich der Bürgermeisterin erzähle, was du getan hast. Wenn sie mit dir fertig ist …« Der Gedanke daran, was die Bürgermeisterin mit mir tun würde, schien ihr einiges an Befriedigung zu verschaffen. Sie stürmte davon.
Der Inhalt meiner Taschen lag neben mir auf dem Gehweg. Darunter waren Carmins kleine blaue Kapseln.
Ich schnappte sie mir und atmete so tief ein, wie ich konnte. Dann rannte ich Sera hinterher, die schon auf der Veranda war. Sie wollte gerade den SCHLÜSSEL zurück in das Loch in der Tür stecken, aber bevor sie so weit war, sprang ich die blutigen Stufen hoch und warf mich auf ihren Rücken, ganz so wie Wyatt sich auf die Steinkreatur geworfen hatte.
Sera versuchte, nach mir zu greifen, aber ich rammte ihr eine Pille in den Mund und zerdrückte sie. Ihr Inhalt spritzte über meine Finger und in ihren Hals. Sie riss meine Hand aus ihrem Mund, würgte von der Flüssigkeit … und erstarrte mit einem abwesenden Blick in den Augen, ein Blick voller Traurigkeit. » Mamá? «
Ich glitt von ihrem Rücken, schnappte mir den SCHLÜSSEL , rannte die Stufen runter – und wurde fast von einem fliegenden Höchstgeschwindigkeitsschild umgemäht.
Ich duckte mich gerade noch rechtzeitig und sah, dass Wyatt immer noch an dem brüllenden Riesen herummeißelte und allen Versuchen, abgeworfen zu werden, tapfer begegnete. Die Kreatur hatte offenbar beschlossen, ihrer Wut über Wyatt Luft zu machen, indem sie die Straße zerstörte. Als sie die Autos zertrümmerte, rannten die Leute aus ihren Häusern – aber sie drehten gleich wieder um. Keiner kam Wyatt zu Hilfe.
Während ich noch darüber nachdachte, wie ich helfen könnte – das Sondereinsatzkommando rufen? –, tauchte Shoko aus dem Nichts auf, schwang ihre pinkfarbenen Flegel und grinste dabei manisch. Sie war tödlicher als zwanzig Sondereinsatzkommandos. Sie nahm Anlauf und landete mit einem weiten Sprung neben Wyatt auf dem Rücken der Kreatur, und das war mein Stichwort, zu Rosalees Wagen zu rennen und abzuhauen, solange ich noch konnte.
Atemlos und klatschnass von dem mittlerweile heftigen Regen, der draußen runterprasselte, stürme ich ins Wohnzimmer. Runyon wartete auf mich, und an dem Blick in seinen Augen konnte ich sehen, dass er schon sehr lange gewartet hatte. Er hatte die Zeit aber wenigstens gut genutzt und das Blut von Rosalee gewaschen. Er hatte ihr auch erlaubt, sich etwas Bequemes anzuziehen – ein schwarzes Oberteil und Yogahosen.
Ich warf Runyon den glänzenden, gewundenen Knochen zu. Er ließ ihn fast wieder fallen, so groß war seine Überraschung. Seine Augen weiteten sich erschrocken, als er ihn in den Händen hielt.
»Wenn du hier lange genug rumhängen willst, um uns nach Brasilien zu wünschen«, rief ich, wickelte mich aus meinem durchnässten Mantel und rannte die Treppe hoch, »ich halte dich nicht auf. Aber Rosalee und ich müssen jetzt wirklich abhauen!«
Ich packte schnell, so schnell wie damals, als ich aus Tante Ullas Haus geflohen war. Aber diesmal würde ich Gesellschaft haben. Vielleicht wollte Rosalee nach Helsinki, um das Haus zu sehen, in dem ich aufgewachsen war. Oder vielleicht könnten wir wirklich nach Brasilien. Keiner würde uns dort vermuten. Aber nein, Wyatt hatte Familie in Brasilien. Oder war es Argentinien? Ich musste aufhören, an Wyatt zu denken. Ich musste mich konzentrieren. Warum fiel es mir so schwer, mich zu konzentrieren?
Ich schleppte mein treues Gepäck runter, warf es vor die Haustür … und erblickte eine zweite Tür neben der metallenen Stehlampe. Rosalee, meine Rosalee mit ihren schwarzen Augen, stand davor. Es war ein türförmiges Loch, das aussah, als wäre es mit einer Plätzchenform aus der Luft gestochen worden. Regen fiel hindurch auf einen riesigen, skelettartigen Baum, der alleine
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