Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
irgendwie machte mir das keine Angst. Ich drückte das Kissen an mich. »Weißt du die Hausnummer?«
»Nein, aber man erkennt es gleich«, sagte Poppa, als hätte er sein ganzes Leben lang in Portero gelebt. »Es ist das Haus am Ende der Sackgasse. Es ist weiß und komplett mit Feuerdorn bewachsen. Außerdem ist es von Schutzwällen umgeben. Man kann es gar nicht verfehlen.«
Jetzt hatte ich Angst.
»Die Schutzwälle!«, stöhnte ich und ließ mich neben Poppa aufs Bett fallen. »Du meinst die, an denen keiner vorbeikommt?«
»Wyatt könnte es.«
Ich lachte, aber es klang falsch: verkrüppelt und hässlich. »Wyatt würde mich eher zur Hölle jagen, nach allem, was ich ihm angetan habe.«
Mein Magen knurrte. Schon verrückt, wie der Körper trotzdem noch Ansprüche stellt, obwohl alles andere schon den Bach runtergeht. Ich sprang auf die Füße. »Ich gehe runter.«
»Ich nicht. Aber …«
Ich sah ihn an, sah, wie er nach dem Kissen sah, das ich immer noch in den Händen hielt. Ich ließ meine Finger noch einmal über die Worte gleiten, dann gab ich es ihm und ging runter in die dunkle, blutige Küche.
Ich weiß, dass Wyatt sauer auf dich ist , sagte Poppa und führte unsere Unterhaltung in der verhältnismäßigen Behaglichkeit meines Kopfes fort, aber es ist sein Job, objektiv zu sein. Deshalb konnte er seine Freundin töten – weil es sein Job war.
»Würde er es denn als Teil seines Jobs ansehen, mir zu helfen?«, fragte ich und griff mir eine Handvoll Müsliriegel aus dem Schrank.
Um den Schlüssel zu bekommen? Was denkst du?
»Vielleicht.« Aber wie konnte ich an ihn rankommen, ohne seine Eltern zu alarmieren? Besonders seine Mutter. Ich war nicht in der Stimmung, mir noch mal den Hintern versohlen zu lassen.
Ich öffnete den Kühlschrank, um mir eine Flasche Milch zu schnappen, als ich die Kirschen sah. Dunkle Kirschen. Köstlich reif.
Kirschen.
Warum hast du nicht an mich gedacht? , sagte Poppa und lenkte mich ab.
»Was?«
Als du dir die Pulsadern aufgeschnitten hast. Als du da lagst und an Rosalee gedacht hast und an niemanden sonst.
Ich seufzte und stellte die Kirschen vor die Blutschlieren auf die Theke. »Poppa, mach mir kein schlechtes Gewissen. Wir wissen voneinander, was der andere fühlt. Aber Rosalee …?«
Schon okay . Seine Worte rauschten trostlos durch meinen Schädel. Mein letzter Gedanke galt auch ihr. Ich wollte diese Besessenheit nicht an dich weitergeben, wirklich.
»Es ist keine Besessenheit, es ist Faszination.«
Die Price-Faszination , sagte er, als wüsste er es genau. So mächtig, dass nicht einmal der Teufel, der sie heimsucht, sie aufgeben will.
»Vielleicht würde er es«, sagte ich und befühlte die Schüssel mit den Kirschen, während der Plan in meinem Kopf Formen annahm. »Für den richtigen Preis.«
34
Der Carmona Boulevard war zerstört, die Straßenlichter kaputt, die Verkehrsschilder verbogen. Ein Loch von der Größe eines Kraters drückte die Straße ein. Das wusste ich, weil ich Rosalees roten Prius reingefahren hatte und die letzten paar Meter zu Wyatts Haus laufen musste. Auch gut – die Ortigas könnten Rosalees Wagen erkennen.
Dünner Regen schimmerte in den blumenlosen Weinranken, die an dem schmiedeeisernen Zaun wuchsen, der Wyatts Haus umschloss. Durch das Wohnzimmerfenster seines hohen, schmalen Hauses sah ich Sera, die auf der Couch saß und vor sich hin schimpfte. Wyatt und Asher saßen in ihrer Nähe und hörten zu. Asher nickte zustimmend nach jedem Wort, das aus Seras Mund kam, aber Wyatts Blick war leer. Er starrte ausdruckslos auf den Boden.
Ich wich von dem Fenster zurück und suchte herum, bis ich ein jasminbewachsenes Spalier fand, an dem ich hochklettern konnte. Wegen meiner Schnürstiefel musste ich sehr vorsichtig sein.
Hinter dem beleuchteten Fenster im zweiten Stock zu meiner Rechten lag Wyatts Zimmer. Die Körperteile, die er an die Wand gehängt hatte, die Gipsbeine und -arme, lagen verstreut auf dem Boden. Wie tote Käfer waren sie gekräuselt und verschrumpelt, als hätte ich durch den Diebstahl des SCHLÜSSELS das Haus krank gemacht. Oder getötet.
Aber darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Alles der Reihe nach.
Links des Spaliers lag Paulies Zimmer. Der blaue Schimmer seines Nachtlichts glitt über ihn. Da lag er in seiner Superman-Bettwäsche und bekam nichts von dem Aufruhr unten mit. Ragsie lag in seinen Armen. Sein wildes orangefarbenes Haar quoll über das Kissen.
Ich klopfte an das Fenster, und
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