Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dia Reeves
Vom Netzwerk:
obwohl ich nur ganz leise geklopft hatte, hob Ragsie sofort den Kopf. Ich versuchte, nicht rückwärts von dem Spalier zu purzeln, als ich vorsichtig die Plastiktüte mit Kirschen aus meiner Manteltasche holte und vor dem Fenster tanzen ließ.
    Ragsie wand sich aus Paulies Umarmung und rannte zum Fenster. Eilig öffnete er das Schloss mit seinen lappigen Armen. Er riss das Fenster auf und grabschte nach den Kirschen, aber ich hielt sie außerhalb seiner Reichweite.
    »Noch nicht«, flüsterte ich. »Erst musst du Wyatt für mich holen. Geht das?«
    Er nickte.
    »Guter Junge.« Ich hielt ihm die Tüte hin und ließ ihn sich eine Kirsche nehmen.
    Ragsie öffnete den Spalt seines Mundes und warf eine Kirsche samt Stiel und Kern rein. Als er sich noch eine nehmen wollte, nahm ich ihm die Tüte wieder weg. Ragsies Knopfaugen sahen mich vorwurfsvoll an.
    Ich beugte mich näher zu der Puppe, nahe genug, um die Falten in der gewebten Baumwolle zu sehen, aus der er gemacht war. »Bring Wyatt in den Hinterhof, und sieh zu, dass er alleine ist. Wenn du das für mich tust, kannst du alle Kirschen haben. Okay?«
    Noch bevor ich ausgeredet hatte, wuselte Ragsie von der Fensterbank und aus dem Zimmer. Ich tat es ihm gleich, wuselte das Spalier runter und hoffte, er war nicht losgerannt, um Alarm zu schlagen.
    Ich hielt im Schatten einer Eiche Wache. Wasser tropfte von den kargen roten Blättern in den Kragen meines Mantels. Ich hatte den indigofarbenen Mantel mit der Kapuze gegen den taillierten fuchsiaroten Mantel getauscht. Auch wenn er keine Kapuze hatte und lange nicht so warm hielt, so war er doch sehr viel niedlicher und passte zu meinen Schuhen.
    Stylisch auszusehen ließ ein Mädchen immer im Vorteil sein, besonders, wenn es im Unrecht war.
    Nach einer Weile kam Wyatt in den Hinterhof. Ragsie zeigte ihm den Weg.
    Der gute alte Ragsie.
    »Was ist denn, Rags?«, fragte Wyatt und verschränkte seine Arme über seinem T-Shirt gegen die Kälte.
    Ragsie scannte den Hof, und als er mich unter der Eiche entdeckte, rannte er zu mir.
    »Guter Junge«, sagte ich, tätschelte sein wildes Haar … zuckte zusammen und fuhr zurück. Ragsies Haar fühlte sich … menschlich an.
    Als Ragsie seine Arme ausstreckte, gab ich ihm die Kirschen. Er brach fast unter dem Gewicht der Tüte zusammen, schaffte es aber, sie auf seinen tapferen Tuchbeinen zurück ins Haus zu schleppen.
    Wyatt indes sah verwirrt aus, als er wie ein Schlafwandler auf mich zuwankte. »Wer ist da?«
    »Ich.«
    Meine Stimme ließ ihn kurz wie angewurzelt stehen bleiben … dann marschierte er unter den Baum und ergriff mein Kinn. Er drehte meinen Kopf in das Licht, das aus seinem Schlafzimmerfenster drang. Da er mit dem Rücken zum Licht stand, konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber ich spürte seine Berührung, spürte, wie seine Hände unablässig über mein Gesicht strichen.
    »Die Bürgermeisterin hat eine Selbstmordtür geöffnet«, flüsterte er. »Ma hat gesagt, sie wäre für dich, wegen dem, was du getan hast.« Seine warmen Fingerspitzen fühlten den Puls, der unter meinem Kinn schlug. »Bist du ein Geist?«
    Ich küsste ihn, und auch, wenn mir der Mund wehtat, war mir das egal. Wyatts Küsse waren es wert, dafür zu leiden. Ich war darauf gefasst gewesen, ihm nie wieder nahe sein zu können, und jetzt atmete ich seine Seufzer ein. Ich wollte ihn ganz und gar einatmen, aber er stieß mich keuchend von sich.
    »Küss mich nicht so«, zischte er. »Als würde ich dir etwas bedeuten. Ich weiß, dass es nicht so ist.«
    Er hatte mich weggestoßen, aber er hielt immer noch meine Arme, also zog ich ihn zu mir zurück. Ich könnte ihm sagen, dass er mir etwas bedeutete, aber fühlte er es denn nicht? Er musste es wohl, denn er hörte auf, mir zu widerstehen, und ließ mich ihn küssen, wie ich es wollte.
    »Wie kann es sein, dass du nicht tot bist?«, fragte er, als ich ihn zu Atem kommen ließ.
    »Das ist doch jetzt egal«, sagte ich und küsste seine Ohren. Regentropfen hingen an seinen Ohrläppchen wie zarter Schmuck. »Ich erzähl es dir später. Aber erst müssen wir Rosalee retten.«
    Als er mich diesmal wegstieß, knallte ich gegen den Baumstamm und brach mir fast das Rückgrat.
    »Das ist es also«, sagte er bitter. »Du bist hergekommen, um mich zu benutzen. Mal wieder.«
    Durch den Selbstekel in seiner Stimme fühlte ich mich so dreckig wie der Schlamm, in dem ich stand. Ich wollte mich vor seine Füße werfen und um Vergebung betteln, ich wollte es wirklich,

Weitere Kostenlose Bücher