Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
ich das vermeiden könnte, sagte er: ›Ich kann es dir zeigen.‹ Seine Augen wurden riesig wie Tunnel und zogen mich rein, obwohl er derjenige war, der in mich gezogen wurde. Fast direkt danach fühlte ich, dass sich etwas in mir verändert hatte. Ich ging aus dem Haus, und es war, als könnte ich alles tun. Es war mir egal, was mein Daddy dachte, oder die Nachbarn. Oder die Mortmaine, die in der Morgendämmerung Glyphen auf den Gehweg ritzten, um mit der Wache zu beginnen. Du hättest sehen sollen, wie sie mich anstarrten. Normalerweise hätte ich mich gerechtfertigt, aber ich ging einfach an ihnen vorbei. Von nun an würde ich nur noch tun, was ich wollte und wann ich es wollte.«
Rosalees Lippen verzogen sich freudlos. »Das hielt ungefähr fünf Minuten an. Auf dem Nachhauseweg verlor ein Auto im Regen die Kontrolle und fuhr mich über den Haufen. Ich hatte eine Schädelfraktur. Ich glaube, ich lag zwei Monate oder so im Koma. Ich vergaß alles über Runyon und meinen Ausflug zu seinem Haus, aber ich vergaß nie, was er mir gesagt hatte: Liebe ist eine Falle.«
Ich puhlte am Fliegengitter herum. Pop Goes the Weasle klimperte fröhlich durch die Straße, während der Eiswagen seine tägliche Runde machte. »Denkst du das immer noch? Dass Liebe eine Falle ist?«
»Ja. Aber ich kann das offenbar nicht auf dich anwenden.« Sie stupste mein Knie mit ihrem Fuß an und lächelte mir müde zu. »Vielleicht, weil ich dich in mir getragen habe. Vielleicht macht dieser Scheiß wirklich einen Unterschied. Das sagt auch Runyon. Alles ist anders, wenn du ein Kind hast.«
Das sagt auch Runyon?
»Er spricht mit dir?«
»Ja.«
Ihre Unbekümmertheit war wahnsinnig.
Ich beugte mich vor und griff nach ihrem Knöchel. »Ist das nicht was Böses? Dass du besessen bist? Sollten wir nicht jemandem davon erzählen?«
»Es fühlt sich nicht böse an«, sagte sie und schob mit dem anderen Fuß meine Hand von ihrem Knöchel. »Er ist kein Monster, weißt du. Wie ich schon sagte, er war ein Mortmaine. Erst nachdem er seine Tochter verloren hatte, ist er durchgedreht.«
Ich suchte nach allen möglichen Anzeichen von fremdartigen Veränderungen – eine gespaltene Zunge, geschlitzte Pupillen –, aber ich sah nur Rosalee mit ihren großen dunklen Augen und dem unglücklichen Mund, wie sie mein Urteil erwartete.
»Bist du wegen ihm nett zu mir? Er vermisst seine Tochter und es … überträgt sich nur auf dich?«
Rosalee sah mich beleidigt an. »Er kontrolliert nicht meine Gefühle. Er kontrolliert mich nicht.«
Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Ich denke, du weißt wohl, was für dich am besten ist … aber eins sag ich dir, wenn du durchdrehst, rufe ich einen Priester. Abgemacht?«
»Abgemacht.« Ihr Lächeln versengte mir fast die Wimpern.
Wenn sie so lächelte, fiel es mir schwer, mich darüber aufzuregen, dass sie ihren Körper mit jemandem teilte. Es war unmöglich, sich um etwas anderes zu kümmern als darum, sie glücklich zu machen.
Was sonst zählte schon, als sie glücklich zu machen?
Am folgenden Sonntagabend nahm ich in meinem Zimmer Rosalees Maße, während sie zu ihrer Billie-Holiday- CD summte. Ich lauschte der morbiden Rezitation von Gloomy Sunday , fühlte mich unbehaglich, als ich Rosalees Hüftmaße notierte, behandelte sie wie Nitroglyzerin …
… fragte mich, ob Runyon mich durch ihr Ohr beobachtete.
Ich hatte kaum an ihn gedacht, seit sie mir ihre Geschichte erzählt hatte, aber diese schrägen Bilder krochen zu den unmöglichsten Zeiten in mir hoch.
Als ich fertig war, ging sie zu der Schneiderpuppe neben meiner Nähmaschine und strich über den schwarzen Jerseystoff, der sie bedeckte. »Unglaublich, dass du damit fast fertig bist. Wie kommt es, dass du so schnell nähen kannst?«
Da ich mein Haar zu einem komplizierten Knoten auf meinem Kopf zusammengebunden hatte, konnte ich nur so tun, als würde ich es über die Schultern werfen. »Ich bin außergewöhnlich begabt.«
»Und außergewöhnlich eingebildet.« Rosalees Ausdruck wurde nachdenklich, als sie das Kleid befühlte. »Das passt nicht wirklich zu mir.«
Ich folgte ihr zu der Schneiderpuppe und setzte mich davor. »Das passt zu dir. Du bist wunderschön. Warum also keine wunderschönen Dinge tragen statt …«
Aber ich musste den Satz nicht beenden – sie wusste selbst, wie nuttig ihre Kleidung war. »Ich werde dir auch noch andere Sachen nähen.«
»Das musst du nicht.«
»Doch. Ich brauche was, das mich von dem blöden
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