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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dia Reeves
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davongeschlichen. Billy. Oder Benny. Wie auch immer. Wir fuhren nach Houston, um zu diesem Digital-Underground-Konzert zu gehen. Und ich kehrte nicht vor zwei oder drei Uhr morgens zurück. Ich hatte keinen Hausschlüssel, also musste ich durch mein Fenster klettern. Konnte ich aber nicht. Daddy stand an meinem Fenster und wartete auf mich. Er sagte mir, er hätte das Haus schlampensicher gemacht, und ich sollte den Rest der Nacht sonst wo verbringen. Ich weiß noch, dass es in dieser Nacht regnete, weil Daddy seine Hände rausstreckte und sagte, er würde sich von mir reinwaschen. Er hat immer solchen Kram gesagt.«
    Sie hing ihren Gedanken nach, erinnerte sich vielleicht an den anderen Kram, den er gesagt hatte.
    »Weil er mich nicht reinließ«, fuhr sie fort, »lief ich einfach herum und ließ es in meine Augen und in meinen Hals regnen. Ich hoffte, ich würde mir eine Krankheit von den Wolken holen und daran sterben. Aber ich starb nicht.« Es war schwer zu sagen, ob sie dieser Gedanke erstaunte oder traurig machte.
    »Du bist in Runyons Haus gegangen«, soufflierte ich.
    Sie fing an, mit dem Schlüssel an ihrem roten Armband zu spielen. »Nicht mit Absicht. Ich glaube nicht. Ich landete dort einfach. Das war kurz bevor die Mortmaine den Schutzwall aufstellten, um die Leute fernzuhalten. Ich wusste, dass die Bürgermeisterin jedem verboten hatte reinzugehen. Aber genau deshalb ging ich rein, weil es verboten war.
    Ich dachte mir, die Bürgermeisterin würde mich totschlagen oder so. Das hoffte ich jedenfalls.«
    Die Bürgermeisterin, die laut Wyatt einen Mann auch über den Tod hinaus an einen Ort bannen konnte. »Was hat sie getan?«
    Rosalee schnaufte. »Ich sah sie nie. Ich sah Runyon. Er saß in seinem Wohnzimmer und sah aus wie eine Daguerreotypie, alt und traurig und verblichen. Ich hatte all diese Geschichten über ihn gehört.« Sie verzog das Gesicht. »Dass er eine Frem vergewaltigt und gefoltert hat.«
    Ich dachte an Anna und was man mir über sie erzählt hatte. »Das denken also alle? Dass sie eine Frem war?«
    Rosalee zog ihr Sweatshirt aus. In ihrem Haus war es immer viel kälter, als es in Portero jemals wurde, sogar im Winter. »Na ja, sie war nicht von hier, so viel war sicher. Keiner wusste, woher sie kam.« Sie sah mich an. »Warum? Hast du was anderes gehört?«
    »Nein«, sagte ich schnell. Die Ortigas und die Mortmaine hatten sicherlich ihre Gründe, dass sie Annas Herkunft geheim hielten. In jedem Fall war es nicht an mir, dieses Geheimnis zu verraten.
    »Ich wusste also all diese schrecklichen Dinge, die Runyon getan hatte, aber als ich ihn da in seinem kleinen Haus sitzen sah, konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass er jemandem wehtun würde. Er war irgendwie so normal, weißt du? Abgesehen davon, dass er schon seit zig Jahren tot war.«
    »War er … schon am Verwesen?«
    »Nein.« Sie dachte darüber nach. »Er sah so aus, wie er lebendig ausgesehen hatte, vermute ich. Nur nicht so trainiert. Er war ein Mortmaine, aber nachdem man ihn in sein Haus gesperrt hatte, ließ er sich gehen. Als ich ihn sah, wirkte er eher wie ein Buchhalter oder ein Büroangestellter. Pummelig und weiß, wie jemand, der den ganzen Tag drinnen auf seinem Hintern sitzt. Er trug diese langen Koteletten bis runter zum Kiefer und ein altmodisches Oliver-Twist-Outfit – es fehlte nur noch der Zylinder.«
    »Hast du mit ihm gesprochen?«
    »Ja. Ich sagte: ›Sie müssen Ihre Tochter wirklich geliebt haben.‹ Weil mich dieser Gedanke vollkommen umhaute. Was er schon alles auf sich genommen hatte, nur um sie zurückzubekommen. Er sagte: ›Ich liebe sie immer noch .‹ Und dann ging ich zur Couch und setzte mich zu ihm.«
    »Du hast dich neben ihn gesetzt!«
    »Er war ein Geist«, versicherte sie mir. »Er hatte keinen echten Körper, nur das Abbild davon. Er hat nicht einmal eine Delle in die Couch gemacht. Und außerdem trug ich diese Riesensache mit mir herum, die ich sagen musste, und ich wusste, dass ich sitzen musste, um sie zu sagen.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Ich sagte: ›Ich wünschte mir, mein Daddy würde mich lieben.‹ Und dann fing ich an zu weinen.«
    Sie machte wieder eine lange Pause, als wären diese Worte immer noch groß genug, um ihr so viele Jahre später den Atem zu nehmen. »Ich weinte sehr lange. Aber es war das letzte Mal, dass ich weinte. Weil mir Runyon sagte – und das werde ich nie vergessen – ›Liebe ist eine Falle. Lass sie niemals zuschnappen.‹ Als ich ihn fragte, wie

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