Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
…«
»Hanna, ich mag dich, okay. Da, ich hab’s gesagt. Ich mag dich!« Er schaute finster auf das Armaturenbrett. »Wenn du es willst, bist du meine Freundin.«
»Ich hab’s nicht nötig, dass du mir irgendeinen gottverdammten Gefallen tust, Wyatt«, sagte ich. Ich konnte ihn nur noch anschreien. »Was willst du denn?«
Er antwortete nicht. Saß nur da, schweigend und unglücklich. Ein Pulk lachender Kids auf Rollerblades zog am Beifahrerfenster vorbei. Ich wünschte ihnen, dass ihr Weg von Lachen zu Liebeskummer niemals so kurz sein würde wie meiner.
»Unentschlossenheit ist bei einem Mann sehr unattraktiv«, sagte ich und zitierte meine Großmutter Annikki. »Auch, wenn er noch ein Junge ist.«
»Ich gebe Leute nicht gerne auf«, sagte er schließlich. Mehr sagte er nicht.
»Dann gib sie nicht auf. Sie braucht dich. Ich nicht.« Ich schnappte mir meine Tasche und sprang aus dem Wagen. Es fühlte sich an, als ließe ich einen Teil von mir bei ihm zurück. Ich hoffte nur, dass sich dieser Teil einen Scheiß um alles kümmerte. Zum Teufel mit ihm.
Zum Teufel mit allen.
Ich stürmte ins Haus und erstarrte. Es war zu dunkel. Alle Fensterläden waren verschlossen. Ein schwacher Lichtstrahl kam von der Stehlampe, war aber auf den Flur gerichtet und zeigte auf Rosalees Zimmer. Über den Flur schabte ein tiefes, langsames Kratzen, wie von einem faulen Hund, der reingelassen werden wollte. Ein Kratzer nach dem anderen.
Von dem seltsamen Kratzen total entnervt schlich ich durch den Flur und fand Rosalee. Sie trug Jogginghosen und hockte auf einem Knie vor dem Wäscheschrank, so reizlos, wie ich sie noch nie gesehen hatte. In dem einzelnen Lichtstrahl wirkte sie wie ein Einbrecher, der von einem unerschrockenen Hausbesitzer in der Dunkelheit erwischt wurde.
Sie hatte sogar eine Waffe, ein Messer. Sie ritzte damit eine Glyphe in die Schranktür – eine Reihe gezackter Spitzen, so wie ein Kind die Berge zeichnen würde, oder das Meer. Ein Name war auch in die Tür geritzt: Bonnie.
Rosalee ließ das Messer sinken und umfasste den Türgriff. Er rasselte kurz in ihrer zitternden Hand. Mit einer schnellen Bewegung öffnete sie die Tür. Was auch immer sie dort sah, oder nicht sah, ließ sie in sich zusammensinken.
»Rosalee?«
Ich erschrak über ihren Blick. Ihre Augen reflektierten wie bei einer Katze das Licht der Lampe. Aber dann sah ich, dass ihre Augen gar nicht reflektierten, sondern blau waren. Es war dasselbe elektrische Blau, das ich nach meinem Wunsch gesehen hatte.
»Rosalee?« Meine Stimme war vor Angst ganz schneidend.
»Bonnie?«
Sie blinzelte. Und zwischen einem Blinzeln und dem nächsten waren ihre Augen wieder schwarz. Verwundert. Sie stand auf und machte das Flurlicht an. »Was machst du …?« Sie stutzte, als sie das Messer in ihrer Hand sah. Sie warf es auf den Boden und verfehlte nur knapp ihre Zehen.
Sie hastete vor dem Messer davon, raus aus dem Flur, an mir vorbei. »Äh … Hanna … du bist früh zurück. Wie kamst du mit Dr. Geller klar?«
»Du bist besessen!«
»Hanna …«
»Du bist es!«, schrie ich und rannte ihr nach, als sie durch das ganze Haus ging, um überall Licht zu machen. Auf der Treppe griff ich nach ihrem Arm und hielt sie fest. »Hast du mich gehört? Du! Bist! Besessen!«
Sie hielt sich am Geländer fest, als wäre es das Einzige, das sie noch aufrecht halten konnte. »Ich weiß.«
» Du weißt es ?«
»Nachdem du mir auf den Kopf geschlagen hast, kam es wieder.« Ihre Stimme war ganz leise. » Er kam wieder. Du hast ihn geweckt.« Aber es klang nicht wie ein Vorwurf. Sie war eher verwirrt als verärgert.
Ich hatte Angst, danach zu fragen, aber ich musste es tun. »Wen hab ich geweckt?«
»Runyon Grist.«
Der Name hing zwischen uns in der Luft. Wie Gift.
26
Rosalee floh aus dem Haus. Sie suchte mehr Licht, als eine Hundert-Watt-Lampe geben konnte. Aber kaum war sie auf der Veranda, kauerte sie sich in eine Ecke und versteckte sich dort wie ein Schatten.
Ich saß ihr gegenüber unter dem Brett mit den roten Chrysanthemen und steckte meine Füße unter mein Kleid. Ich wartete, dass sie etwas sagte. Ich musste sehr lange warten und sah zu, wie sich ihr Gesicht veränderte: von beherrscht zu begeistert zu ängstlich und wieder zurück. Es war seltsam, all diese Emotionen in einem Gesicht zu sehen, das normalerweise gar keine Gefühle zeigte.
»Ich glaube, ich war ungefähr so alt wie du«, begann sie zögerlich. »Ich hatte mich mit diesem Jungen
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