Bleib bei mir, kleine Lady
sie geschlagen.
Er hatte sich noch im selben Augenblick geschämt, wie nie zuvor in seinem Leben.
Erst als er neben der Couch, auf der sie mit hochrotem Gesicht lag, auf die Knie gesunken war und sich entschuldigt und sie angefleht hatte, ihm zu verzeihen, hatte er voll Entsetzen gemerkt, daß sie die Prügel genossen hatte.
Sie war ein Mensch, der von seinem Partner unterjocht werden wollte, und dazu war er nicht in der Lage gewesen. Allein schon sein Charakter, von seiner Erziehung ganz zu schweigen, verbot es ihm, eine Frau wie eine Leibeigene zu behandeln.
Phenice jedoch hatte einen Mann haben wollen, der herzlos, grausam und brutal war und dem sie sich völlig unterwerfen konnte.
Virgil hatte sie eines Tages dabei angetroffen, wie sie ihre beiden Kammerzofen beim Kofferpacken überwachte. Er hatte die beiden Mädchen hinausgeschickt und eine Erklärung von Phenice verlangt.
„Du hättest sie nicht hinauszuschicken brauchen, sie wissen, daß ich zu Salin ziehe.“
„Glaubst du, daß du mit ihm glücklich wirst?“
Phenice zuckte mit den Schultern.
„So glücklich wie mit jedem“, antwortete sie. „Er ist wahnsinnig reich, und ich werde alles haben, solange ich mit ihm zusammen bin.“
„Habe ich dir nicht alles gegeben, was du wolltest?“
Virgil hatte von seiner Mutter ein stattliches Vermögen geerbt und war daher nie in finanziellen Schwierigkeiten gewesen. Auch war es ihm dadurch erspart geblieben, daß ihm der Vater als Druckmittel den Wechsel gesperrt hatte, wie sonst üblich.
„Geld und Schmuck interessieren mich nicht“, entgegnete Phenice lächelnd.
„Ich weiß, was du wirklich willst, Phenice, und ich gebe gern zu, daß ich nicht der Mann bin, der es dir gibt.“
„Du bist zu englisch, um es zu verstehen“, sagte Phenice. „Wenn ich dich jetzt nicht verlasse, bin ich zu alt. Zu alt, um noch einmal zu wechseln.“
Ausnahmsweise hatte sie einmal die Wahrheit gesagt.
In den sechs Jahren Zusammenleben mit Phenice hatte er unter anderem erfahren, daß sie mit ihrem Alter so freimütig gelogen hatte wie mit anderen Dingen.
Scheu wie ein junges Mädchen hatte sie ihm gestanden, sechsundzwanzig zu sein. Sie war mindestens sechs Jahre älter.
Als sie ihn verlassen hatte, war sie achtunddreißig gewesen, und der Gedanke an ihr Alter hatte sie jedesmal überfallen, wenn sie in den Spiegel gesehen hatte.
Und sie hatte pausenlos in den Spiegel gesehen. Sie hatte jedes Fältchen gezählt und jedes graue Haar ausgerissen.
Sie hatte jedes Hilfsmittel benutzt, hatte jedes Sälbchen gekauft, das auf den Markt gekommen war, und sich von Quacksalbern Jugendelexiere für ein Sündgeld pro Flasche auf schwätzen lassen.
Dies war der Drachen, den zu töten sie von ihm verlangte, aber nicht einmal seine Leidenschaftlichkeit und seine Liebe hatten ihr genügt, um die Zeit manchmal ein wenig anzuhalten.
Der Ägypter war knapp fünfundzwanzig Jahre alt gewesen. Auch er würde das in Erfahrung bringen, hatte Virgil gedacht, was er hatte in Erfahrung bringen müssen.
Nach seiner Leidenschaft und seiner Jugend hatte es Phenice verlangt, weil sie ihr die Illusion vermitteln sollte, selbst noch einmal jung zu sein.
Als sie endlich fortgegangen und nur ihr schweres, süßliches Parfüm zurückgeblieben war, fühlte sich Virgil nicht nur erleichtert, sondern vereinsamt.
Der Palazzo, nicht derselbe, in den sie vor sechs Jahren eingezogen waren, sondern ein eleganterer, viel kostspieligerer, war erschreckend leer und still.
Ihre Stimme verfolgte ihn.
„Virgil – ich langweile mich.“
„Virgil – lade Freunde zum Essen ein. Viele Freunde.“
„Virgil – ich will Menschen um mich haben, Musik, Gelächter, Stimmen!“
Und immer wieder: „Virgil – nimm mich in die Arme! Ich will mich spüren! Entfache das Feuer in mir! Ich habe Angst, Angst, mich nicht mehr zu spüren!“
Nun hatte er Partys gegeben, laute, betrunkene Partys, die die Einsamkeit hatten verscheuchen sollen, sie aber nur noch spürbarer gemacht hatten.
Und dann hatte die Zeit begonnen, wo ihn die Erinnerungen an Barons’ Hall heimgesucht hatten.
Statt des schrillen, beschwipsten Gelächters seiner sogenannten Freunde hatte er das Gurren der Wildtauben im Wald gehört, das Schreien der Krähen auf den abgeernteten Feldern, das Röhren der Hirsche im Park und das Wiehern der Pferde in den Stallungen.
Seit er von zu Hause weggegangen war, hatte er zweimal an seinen Vater geschrieben, aber beide Male keine Antwort
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