Bleib cool Samantha
du das vergessen?«
Terry! Wie hatte ich den nackten Terry vergessen können?
»Ach stimmt«, erinnerte ich mich. »Ja, okay. Bis dann.«
Ich drückte ihn weg und nahm den anderen Anruf an. »Hallo?«
»Sam?«, hörte ich Dauntra brüllen. Dem Lärm im Hintergrund nach zu schließen, war sie in einem Club. Einem Club, in dem gerade ein Mord begangen wurde.
Was, so wie ich Dauntra kannte, durchaus im Bereich des Möglichen lag.
»Dauntra?«, rief ich. Ich wusste nicht, ob sie mich hören konnte. Wo war sie? Mir kam ein schrecklicher Gedanke. »O Gott, bist du etwa immer noch im Gefängnis?«
»Nein.« Sie lachte. »Ich bin bei einem Freund. Ich wollte nur schnell anrufen und mich bedanken. Dass du für mich eingesprungen bist, meine ich. Ich schulde dir was.«
»Ach so«, sagte ich erleichtert. »Kein Problem. Ich hoffe, äh, es war nicht zu schlimm im Gefängnis?«
»Machst du Witze?«, sagte Dauntra. »Es war geil! Ich habe denen gesagt, sie sollen meine Pritsche warmhalten, weil ich sie sicher bald wieder brauchen werde. Aber mach dir keine Sorgen, bis zu meiner nächsten Schicht am Freitag bin ich wieder draußen. Ach, da fällt mir ein, du fährst ja über Thanksgiving zu deiner Großmutter. Arbeitest du Freitag dann überhaupt?«
»Öh.« Ich zögerte. »Ich weiß noch nicht so genau. Vielleicht fahre ich gar nicht hin. Zu meiner Großmutter, meine ich.« Ich war wieder kurz versucht, Dauntra zu fragen, was sie an meiner Stelle machen würde… wenn ihr Freund sie nach Camp David eingeladen hätte, meine ich.
Aber ich hatte schon so eine Ahnung. Was Dauntra machen würde, meine ich.
Sie würde es einfach tun.
»Es ist noch nicht ganz sicher, was ich mache«, sagte ich schließlich.
»Ohne dich wird’s am Freitag ganz schön langweilig«, sagte Dauntra, als irgendwer im Hintergrund plötzlich laut brüllte: »Nein, Kevin. Tu’s nicht!«
»Äh, Dauntra?«, fragte ich. »Ist alles okay bei euch?«
»Alles bestens.« Dauntra kicherte. »Kevin ist bloß mitten auf die Pizza gelatscht. Schon zum zweiten Mal.«
Ich fragte lieber nicht, wieso die Pizza auf dem Boden lag. Ich komme mir sowieso immer schon wie ein Baby vor, wenn ich mit Dauntra rede.
»Hör zu«, sagte Dauntra. »Ich habe nachgedacht. Ich finde, wir sollten in der Videothek auch eine Sterbe-Demo veranstalten. Um dagegen zu protestieren, dass Stan immer
unsere Taschen durchsucht.«
»Hm«, sagte ich. »Ich weiß nicht.«
»Ach komm. Das wird lustig.«
»Ich weiß aber nicht, ob eine Sterbe-Demo die wirkungsvollste Methode ist, denen unseren Standpunkt klarzumachen«, sagte ich. Mir tat es in der Seele weh, dass ich ihren Traum zerplatzen lassen musste, besonders weil sie ja in vieler Hinsicht mein Vorbild war. Dauntra war es ganz egal, was andere über sie sagten. Ich hätte mir gern eine Scheibe von ihr abgeschnitten. »Und es könnte sein, dass wir… du weißt schon… dann gefeuert werden.«
»O Gott, scheiße«, sagte sie. »Du hast wahrscheinlich recht. Verdammt. Okay, ich denk mir was anderes aus.«
»Okay«, sagte ich. »Dann bis bald.«
»Ja. Bis morgen«, sagte Dauntra und legte auf, als gerade wieder jemand brüllte: »Kevin!«
Irgendwie komisch, dachte ich, dass sie »Bis morgen« gesagt hatte. Sie wusste doch, dass ich gar nicht arbeitete, weil ich an der Diskussionsrunde teilnehmen musste, die auf MTV übertragen werden würde.
D ie zehn besten Gründe, warum es ein echtes Glück ist, in den USA aufzuwachsen (im Vergleich zu gewissen anderen Ländern):
10. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass man als eines der weltweit ca. 250 Millionen Kinder zwischen vier und vierzehn endet, die einen Vollzeitjob haben. (Außer man hat das Pech, Eltern wie ich zu haben. Der einzige Grund, warum ich nicht vierzig Stunden pro Woche arbeiten muss, sondern bloß sechs, ist der, dass Kinderarbeit bei uns gesetzlich verboten ist. Zum Glück!)
9. Jährlich werden ca. dreihunderttausend Kinder von ihren Regierungen oder Rebellengruppen gezwungen, als Kindersoldaten in diversen Kriegen zu kämpfen. Mit Gewehren und allem Drum und Dran. (Wobei ich mich schon frage, welche Regierung meiner Schwester Lucy ein Gewehr anvertrauen würde. Wahrscheinlich würde sie es als Lockenstab verwenden.)
8. Bei uns wurde die körperliche Züchtigung in den Schulen schon vor langer Zeit abgeschafft, aber in vielen Ländern gilt es auch heute noch als völlig normal, dass Lehrer Schüler mit dem Rohrstock verprügeln, weil sie frech waren oder eine
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