Bleib für immer!: Roman (German Edition)
schließt ihre Handtasche energisch und zwinkert uns zu. »Wir sehen uns später. Oder besser gesagt: Hoffentlich nicht!«
61
D AS KAPIERE ICH einfach nicht. Charlotte hat steif und fest behauptet, sich nicht für Jim zu interessieren.
Und doch steht sie gerade an der Bar, nippt an ihrer siebzehnten Cola light heute und plaudert mit ihm, als wäre er der letzte Mann auf dem Planeten.
Valentina hingegen hat sich die vergangenen dreißig Minuten bemüht, Edmund weiszumachen, dass sie tief im Herzen ein Mädchen vom Land ist – nachdem sie im Jahre 1987 immerhin genau ein Wochenende als Pfadfinderin im Lake District verbracht hat -, und ihn um seine fachliche Meinung zu ihrer Kniesehnenverletzung gebeten. Was offensichtlich beinhaltet, ihren Rock zu lüften, damit sie seine Hand auf ihre Kehrseite legen kann.
Dennoch muss ein Teil von mir ihr Bewunderung zollen. Denn hier sitze ich wieder mal mit Jack und bin anscheinend völlig unfähig, eine Situation herbeizuführen, die ihn auch nur entfernt auf den Gedanken bringt, mich zu küssen.
»Sind Braut und Bräutigam schon gegangen?«, fragt er.
»Ich glaube schon. Vor Ewigkeiten.«
»Ach.«
»Das war ein langer Tag«, seufze ich.
»O ja«, stimmt er zu. »Ein sehr langer Tag.«
Um ehrlich zu sein, mache ich mir langsam Sorgen. Ich glaube, der Moment ist verstrichen. Was aus verschiedenen Gründen kein gutes Zeichen ist – nicht zuletzt, weil meine Flecken fast verschwunden sind. Wenn ich jetzt nicht knutschenswert aussehe, dann wohl niemals.
Die letzten Takte von Jack Johnson klingen aus, und das kann nur eines heißen: Die Party ist vorbei. Die meisten Gäste sind schon weg. In der Lobby sitzt noch eine kleine, aber eingeschworene Gruppe, die ganz offensichtlich auf einen Trinkmarathon hofft.
Doch es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Veranstaltung auf dem letzten Loch pfeift; und das Personal lächelt zwar immer noch, wirkt aber so müde, dass es uns ganz eindeutig alle loswerden will, um endlich ins Bett zu fallen.
»Sieht aus, als würden wir vertrieben«, stellt Jack fest.
»Ich schätze auch.« Trotz meines Lächelns bin ich etwas unruhig. Unser Beinahe-Kuss am Strand wird doch nicht unsere einzige Chance gewesen sein?
»Tja, die Verbrechensrate hier in der Gegend dürfte nicht besonders hoch sein, aber darf ich dich trotzdem zu deinem Zimmer begleiten?«, fragt er.
»Das wäre toll. Man weiß ja nie, ich könnte von einer vorbeischwimmenden Robbe überfallen werden.«
Wir verlassen den Hauptteil des Hotels und biegen in einen der mondbeschienenen Pfade ein. Die Nacht ist erfüllt von einer seltsamen Geräuschkombination: gegen die Felsen klatschende Wellen und ins Bett taumelnde Zecher in unterschiedlichen Stadien der Betrunkenheit.
»Es war sehr schön, dich heute wiederzusehen«, sagt er.
Meine Hand hat er seit vorhin nicht mehr zu halten versucht. Ich rücke näher an ihn heran, damit er kann, wenn er will. Tut er aber nicht.
»Ja«, gebe ich zurück, »das fand ich auch.«
Kurz ringe ich mit mir, ob ich forsch genug sein soll, seine Hand zu nehmen. Doch ich überrasche mich selbst damit, mich dagegen zu entscheiden. Offensichtlich bin ich nicht so emanzipiert, wie ich gern glauben würde. Meine Mutter wäre entsetzt. Der Weg zu meiner Suite ist frustrierend kurz, und als wir vor der Tür stehen, wendet sich Jack mir zu.
»Dann gute Nacht«, sagt er sanft.
»Ebenfalls.« Ebenfalls? Was ist denn mit mir los?
»Bis morgen«, fügt er hinzu.
»Ja. Bis dann.«
Plötzlich wird mir schmerzlich bewusst, dass er gleich geht, ohne mich geküsst zu haben. Ich grabe in der Handtasche nach meiner Chipkarte, und als ich sie – ungeküsst – finde, spüre ich eine Enttäuschung wie noch nie zuvor in meinem Leben. Sie muss sich auf meiner Miene abzeichnen.
»Was ist denn?«, fragt er.
»Ach, nichts«, behaupte ich und drehe den Kopf weg. Jetzt spüre ich nur noch Peinlichkeit.
Doch er legt mir die Hand aufs Kinn und dreht mein Gesicht zurück zu sich. Dann wandert die Hand weiter in meinen Nacken und streichelt über meinen Haaransatz; wir blicken einander tief in die Augen, und meine Atmung beschleunigt sich noch mehr.
Er zieht mich zu sich, und als ich die Augen schließe, treffen unsere Lippen aufeinander. Sein Mund ist voll und weich, und ich stelle fest, dass er noch viel köstlicher schmeckt, als ich es mir ausgemalt habe. Langsam beginnen unsere Zungen, den Mund des anderen zu erforschen. Doch schon bald wird diese
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