Bleib nicht zum Frühstück
vermißte die kräftigen Füße seines großen, warmen Körpers, den er allnächtlich um sie schlang, ja sie sehnte sich sogar nach der allmorgendlich verkehrtherum zusammengefalteten Zeitung auf dem Küchentisch. Gerne wäre sie wieder in ihrem eigenen Haus und Herrscherin über ihren eigenen Herd; doch zugleich empfand sie einen eigenartigen Frieden, der ihr in den letzten Jahren abhanden gekommen war.
Jim hatte recht. Das Mädchen, das er vor so langer Zeit geheiratet hatte, gab es nicht mehr; aber sie war vernünftig genug, sich nicht einzubilden, daß es ihm um dieses Mädchen ging. Er wollte sich selbst zurück, so wie er auf dem College gewesen war, als ihm angeblich noch alle Möglichkeiten offenstanden…
Was sie selbst betraf, vermochte sie natürlich niemals wieder die fröhliche, unbekümmerte Person von früher zu sein. Aber ebensowenig war sie die kühle, stets beherrschte Frau Doktor Bonner, der die Schwiegermutter jede vulgäre Zurschaustellung von Gefühlen abtrainiert hatte.
Wer also war sie? Eine Frau, die ihre Familie liebte, das stand fest. Sie liebte die Künste und brauchte die Berge, von denen sie umgeben war. Außerdem wollte sie keinesfalls mehr lediglich ein Anhängsel des Mannes sein, den sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr liebte.
Aber Jim war starrsinnig und stolz. Indem sie nicht sofort kapituliert hatte, als er das Thema Scheidung anschlug, herrschte jetzt eine Pattsituation. Er stieß niemals leere Drohungen aus, und wenn sie nicht wieder nach Hause zöge und ihre Ehe fortführte wie zuvor, brächte er die Scheidung tatsächlich durch. So war er nun einmal, starrköpfig bis zum äußersten, genau wie sein Sohn. Jeder von ihnen ging eher zugrunde, als nachzugeben.
Ihre Probleme mit Jim lagen mehr als drei Jahrzehnte in der Vergangenheit zurück, aber was war mit Cal? Janes Worten hatte sie entnommen, daß sie eine lebenslange Bindung wollte, Cal ihr diese Zusage jedoch verweigerte.
Warum kämpfte ihr Sohn derart leidenschaftlich gegen die Ehe und die damit einhergehenden Verpflichtungen an?
Er hatte eine Kindheit im Kreis einer liebenden Familie verbracht; weshalb also widerstrebte es ihm so sehr, selbst Teil einer eigenen Familie zu werden?
Bereits als Kleinkind hatte er jegliche Herausforderung aufgegriffen. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit ihm Himmel-und-Hölle spielte, als er beinahe noch zu klein zum Laufen, geschweige denn zum Hüpfen, gewesen war.
Gemäß ihrer Jugend hatte sie ihn nicht nur als ihren Sohn, sondern gleichzeitig als Kumpel angesehen. Mit Kreide hatte sie auf dem Gehweg vor ihrem Appartement die Felder ausgemalt, und sie würde niemals vergessen, wie er, die Unterlippe zwischen den Zähnen, wie ein kleiner Panzer loswackelte. Nun nahm sie an, daß die dauerhafte Bindung an eine Frau und Familie für ihn das endgültige Out des wichtigsten Teils seines Lebens bedeutete, ohne eine neue Perspektive.
Zweifellos hatte Cal unmittelbar nach dem Gespräch mit ihr bei seinem Vater angerufen und ihm von dem Baby erzählt. Sie war lange genug mit Jim verheiratet, um zu wissen, daß die Vorstellung von Nachwuchs in der Familie ihn überglücklich machen würde, vor allem, da er, ebenso wie sie, in großer Sorge um Cal gewesen war. Anders als sie würde er jedoch keinen einzigen Gedanken verschwenden an die junge Frau, die in diesem Augenblick in Annies Gästezimmer schlief.
Lynn sah ihre Mutter an. »Cal muß Jane gern haben, sonst hätte er mir keine solche Lüge aufgetischt.«
»Calvin liebt sie. Er weiß es nur noch nicht.«
»Ebensowenig wie du! Zumindest kannst du es keineswegs behaupten.« Obgleich sie sie förmlich zu einem Kommentar herausgefordert hatte, machte es sie wütend, daß ihre Mutter immer so allwissend tat. Oder hatte sich ihr Bedauern darüber, daß Annie Jane eher durchschaute als sie, noch nicht gelegt?
»Glaub, was du willst!« Annie stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Aber ein paar Dinge liegen einfach auf der Hand.«
»Welche zum Beispiel?«
»Sie läßt sich von ihm nicht unterdrücken. Das gefällt ihm. Sie ist eine ebensolche Kämpferin wie er, und sie fürchtet sich nicht vor Auseinandersetzungen. Janie Bonner ist die beste Frau, die er sich wünschen kann.«
»Wenn sie eine solche Draufgängerin ist, wie du sagst, warum verläßt sie ihn dann?«
»Ich schätze, sie kommt mit ihren Gefühlen nicht mehr zurecht. Sie liebt deinen Sohn von ganzem Herzen. Du solltest sehen, wie die beiden einander anfunkeln, wenn sie
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