Bleib nicht zum Frühstück
sie unsicher an. »Tja, um ehrlich zu sein, bin ich mit einer Frau verheiratet, die mir nach siebenunddreißigjähriger Ehe davongelaufen ist. Das hat mich ziemlich deprimiert; aber statt mich dem Alkohol zu ergeben, dachte ich, es würde vielleicht helfen, wenn ich mir eine kleine Freundin suche.« Er atmete tief ein. »Wie ich höre, lebt hier oben eine nette Dame zusammen mit ihrer streitsüchtigen Mutter, und ich dachte, vielleicht komme ich einfach mal vorbei und lade sie zum Essen oder ins Kino ein.« Um seine Mundwinkel herum zuckte es. »Das heißt, wenn es ihr nichts ausmacht, mit einem verheirateten Mann auszugehen.«
»Du willst dich mit mir verabreden?«
»Ja, Ma'am. In bezug auf solche Dinge bin ich ein bißchen aus der Übung, aber ich hoffe, bisher habe ich alles halbwegs richtig gemacht.«
Sie hob ihre Finger an ihre Lippen, und ihr Herz schwoll an. Während ihres Restaurantbesuchs am Freitag hatte sie sich gewünscht, sie könnten sich noch einmal als Fremde begegnen, ganz von vorn anfangen und sehen, ob sie einander mochten oder nicht – aber er war so wütend gewesen, daß er ihr überhaupt nicht zuzuhören schien. Nach all den Jahren hätte sie nicht gedacht, von seiner Seite her noch mal eine Überraschung zu erleben – aber siehe da!
Gleichwohl widerstand sie dem Bedürfnis, sich ihm in die Arme zu werfen und alles zu vergeben. Sie achtete sich nicht so gering, daß sich durch diesen, wenn auch gutgemeinten, Versöhnungsversuch, mir nichts, dir nichts wettmachen ließ, was sie über Jahrzehnte hinweg an Respekt entbehren mußte. Sie fragte sich, wie weit er wohl gehen würde, wenn sie jetzt zögerte.
»Vielleicht passen wir nicht zueinander«, antwortete sie und sah fragend auf.
»Kann sein! Aber ich schätze, daß sich das erst nach einem gemeinsamen Versuch beurteilen läßt.«
»Ich weiß nicht. Und wenn meine Mutter etwas dagegen hat?«
»Überlassen Sie Ihre Mutter einfach mir. Ich besitze einiges Talent im Umgang mit alten Damen, selbst wenn sie verrückt und ätzend sind.«
Beinahe hätte sie gelacht. Sich vorzustellen, daß der dickschädelige Jim Bonner sich zu einem romantischen Lover aufgeschwungen hatte! Sie war ehrlich gerührt. Doch gleichzeitig machte etwas sie traurig, und sie brauchte einen Augenblick, um dahinterzukommen. Den Großteil ihres Lebens hatte sie damit verbracht, um Jims Zuneigung zu betteln – hatte ihn immer umworben, ihm stets seine Wünsche von den Augen abgelesen. Er mußte sich nie um sie bemühen, denn nie war ihr auch nur die geringste Forderung in den Sinn gekommen. Nie hatte sie ihm den kleinsten Stein in den Weg gelegt, und nun war sie bereit, mit fliegenden Fahnen zu ihm zurückzukehren, nur weil er einen bescheidenen Versuch unternahm! sich seinerseits einmal zu bemühen?
Allzu gut erinnerte sie sich an das Gefühl seiner begierigen Teenagerhände auf ihrem Leib. Die ersten Male hatte ihr die Intimität mit ihm keinen besonderen Spaß gemacht; aber nie war sie auf die Idee verfallen, nein zu sagen, obgleich sie lieber mit ihm an einem Tisch im Drugstore gesessen, Cola getrunken und über ihre Klassenkameraden getratscht hätte. Plötzlich empfand sie Zorn. Er hatte ihr, als er ihr die Unschuld raubte, weh getan. Nicht absichtlich, trotzdem war es schmerzvoll gewesen.
»Ich werde es mir überlegen«, sagte sie leise, schlang ihr Sweatshirt enger um ihren Leib und kehrte ins Haus zurück.
Einen Augenblick später prasselte ein wahrer Kiesregen gegen die Hauswand, als er wie ein zorniger Achtzehnjähriger die Einfahrt hinunterschoß.
20
Zwei Wochen lang hielt sich Cal vom Heartache Mountain fern. Während der ersten Woche betrank er sich dreimal und begann eine Schlägerei mit Kevin, weil der sich weigerte, seinen Befehl zu befolgen und endlich Leine zu ziehen.
In der zweiten Woche machte er sich ungefähr ein halbes Dutzendmal auf den Weg zu ihr, ehe ihn jedesmal sein Stolz zur Umkehr zwang. Schließlich war nicht er der Deserteur!
Schließlich hatte nicht er alles kaputtgemacht, indem er jählings mit vollkommen überzogenen Forderungen auftrat!
Außerdem mußte er der Tatsache ins Auge sehen, daß unter Umständen eins dieser vernagelten Weiber ihn nicht über die Schwelle des Hauses ließ. Offenbar waren die einzig willkommenen Männer Ethan, der nicht zählte, weil er Ethan war, und Kevin Tucker, ein verdammt ernst zu nehmender Gegner. Cal kochte bei dem Gedanken, daß Tucker zum Heartache Mountain fuhr, wann immer er wollte, und
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