Bleib nicht zum Frühstück
merkte, daß sie am Heartache Mountain bleiben wollte. Nur für eine kurze Zeit… Lynn würde die Großmutter ihres Babys sein; da es nun keine Geheimnisse mehr gab, wäre es vielleicht gar nicht so schlimm, wenn sie noch zeigen konnte, daß sie kein schlechtes, sondern nur ein schwaches Wesen war.
Ihre Beine zitterten. Sie sehnte sich nach einer Tasse Tee und einem Keks. Sie wollte die Rotkehlchen in der Magnolie beobachten und sich von Annie herumkommandieren lassen: Setz dich in die Sonne, schnipple die Bohnen und mach dich nützlich!
Lynns Blick drückte gleichzeitig Würde und stilles Flehen aus, so daß auch Janes letzter Vorbehalt schwand.
»Also gut, ich bleibe. Aber nur ein paar Tage, und sie müssen mir versprechen, Cal fernzuhalten. Ich will ihn nicht noch einmal sehen, das verkrafte ich einfach nicht.«
»Verständlich!«
»Versprechen Sie es mir, Lynn.«
»Ehrenwort.«
Lynn half ihr, ihren Koffer aus dem Wagen zu holen, und zeigte ihr das kleine Gästezimmer auf der Rückseite des Hauses, in dem neben einem schmalen Eisenbett eine alte Singer-Nähmaschine stand. Die Wände wiesen verblichene gelbe Tapeten mit blauem Kornblumenmuster auf. Lynn ließ sie zum Auspacken allein, aber Jane war so müde, daß sie, noch in ihren Kleidern, in einen tiefen Schlaf versank und erst wieder zum Abendessen aufwachte.
Das Mahl verlief trotz Annies Beschwerden darüber, daß Lynn keine Butter an das Kartoffelpürree gegeben hatte, überraschend friedlich; doch als sie in der Küche an der Spüle stand, klingelte das Telephon. Lynn ging an den Apparat, und es dauerte nicht lange, bis Jane merkte, mit wem sie sprach.
»Wie war dein Golfturnier?« Lynn wickelte die Telephonschnur um ihren Finger – »das ist schade« –, blickte auf Jane und runzelte die Stirn. »Ja, du hast richtig gehört.
Sie ist hier. Du… willst sie sprechen … ?«
Jane schüttelte den Kopf und sah sie hilflos an. Annie erhob sich von ihrem Stuhl, von wo aus sie die Spülarbeiten beaufsichtigt hatte, und schlurfte knurrend ins Wohnzimmer.
»Ich glaube nicht, daß Jane im Augenblick mit dir reden möchte … Nein, ich kann sie nicht dazu bewegen, ans Telephon zu kommen… Tut mir leid, Cal, aber ich weiß wirklich nicht, was sie vorhat, außer, daß sie dich nicht sehen will.« Wieder runzelte sie die Stirn. »Hüte deine Zunge, junger Mann, und wenn du ihr etwas zu sagen hast, dann mußt du dir schon selber etwas einfallen lassen!«
Es gab eine lange Pause, aber was auch immer an ihr Ohr drang, schien sie nicht zu befriedigen, denn ihre Miene verriet ihren Ärger. »Das ist ja alles gut und schön! Aber du und ich haben eine Menge zu bereden, einschließlich der Tatsache, daß deine Frau im vierten Monat schwanger ist, ohne daß du auch nur ein Sterbenswörtchen davon verlauten ließest!«
Die Zeit verging, und allmählich trat anstelle von Lynns Stirnrunzeln ein Ausdruck der Verwirrung. »Aha … so ist das!«
Allmählich fühlte sich Jane wie eine heimliche Lauscherin, deshalb gesellte sie sich zu Annie ins Wohnzimmer, wo die alte Frau vor einer abendlichen Nachrichtensendung im Fernsehen döste. Sie hatte sich gerade in den Schaukelstuhl gesetzt, als Lynn aus der Küche kam.
Im Türrahmen blieb sie stehen und kreuzte die Arme vor der Brust. »Cal hat mir eben etwas ganz anderes erzählt als du.«
»Wie bitte?«
»Er hat nichts davon gesagt, daß du ihn in eine Falle gelockt hast.«
»Wie hat er es denn ausgedrückt?«
»Daß ihr beide eine kurze Affäre hattet und du schwanger geworden bist.«
Jane lächelte, denn zum ersten Mal an diesem Tag empfand sie ein leichtes Hochgefühl. »Das war nett von ihm.«
Sie sah Lynn fragend an. »Aber du weißt, daß er lügt, nicht wahr?«
Lynn zuckte mit den Schultern. »Im Augenblick enthalte ich mich lieber jeden Urteils, was euch zwei betrifft.«
Annie hob den Kopf und schüttelte ihn. »Solange nicht jemand von euch etwas zu sagen hat, was wichtiger ist als Mr. Stone Phillips Nachrichten, schlage ich vor, ihr beide haltet die Klappe.«
Sie klappten die Münder zu.
Spät an jenem Abend, nachdem Jane eingeschlafen war, saß Lynn auf dem Sofa und ordnete ihre Gedanken, während ihre Mutter in der Hoffnung, daß einer der Videos von Harry Connick junior kommen würde, einen Musiksender einschaltete. Jim fehlte ihr furchtbar: die Geräusche, die er machte, wenn er durchs Haus trampelte, das beruhigende Murmeln, mit dem er nachts am Telephon auf besorgte Patienten einsprach.
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