Bleib ungezaehmt mein Herz
jetzt wirst du nicht hinfahren«, erklärte er kurz angebunden. »Es ist zu gefährlich mit diesen Massen da draußen, und du würdest nur im Weg sein.«
Judith verlor die Beherrschung. Und es war geradezu eine Erleichterung, sich Luft zu machen, weil es das Gefühl der Hilflosigkeit vertrieb und zumindest zeitweilig die dunkle Ahnung verdrängte, daß etwas sehr Verletzendes in ihrer Beziehung zu Marcus Devlin lauerte.
»Das sind mein Pferd und mein Wagen«, rief sie wütend. »Und du solltest wissen, daß ich dort hingehe, wo es mir paßt. Du hast kein Recht, mir Vorschriften zu machen.« Sie griff hastig nach ihrer Jacke und ihren Handschuhen. »Wenn du wieder in meinem Wagen mitfahren möchtest, bitte sehr, ich nehme dich gerne mit. Sonst schlage ich vor, du siehst dich nach einem eigenen Transportmittel um.«
Bevor er etwas erwidern konnte, hatte sie kehrtgemacht und war aus dem Zimmer gestürzt. Mit einem gemurmelten Fluch ergriff Marcus seine Reitgerte und lief ihr nach. Er erreichte den Stallhof unmittelbar nach ihr. Judith sprang auf den Kutschbock des Wagens, der wie befohlen bereitstand, und schnappte sich die Zügel. Marcus trat eilig vor und hielt das Pferd am Halfter fest.
»Du benimmst dich wie ein verzogenes Kind«, sagte er. »Ein Schlachtfeld ist kein Ort für eine Frau. Komm sofort wieder hinunter.«
»Nein«, entgegnete Judith hitzig. »Du bist wirklich ein unglaublich arroganter Despot! Ich habe dir gesagt, ich gehe, wohin es mir beliebt, und du hast keinerlei Recht, mich herumzukommandieren.«
»Im Augenblick übe ich die Autorität eines Ehemannes aus«, erklärte er. »Ein Schlachtfeld ist kein Ort für eine Frau und schon gar nicht für meine Ehefrau. Und jetzt tu, was ich dir gesagt habe.«
Einen Moment lang war Judith sprachlos. »Ich bin nicht deine Frau«, brachte sie schließlich hervor.
»Im Grunde bist du es jetzt. Und sobald ich einen verdammten Priester auftreibe, wirst du es auch in den Augen der Kirche sein.«
Das war zuviel. »Ich würde dich nicht heiraten, selbst wenn du der letzte Mann auf der Welt wärst!« schrie sie.
»Was dich betrifft, meine liebe Judith, so bin ich genau das«, verkündete er nüchtern. »Der erste und letzte Mann, den du kennen wirst, im vollsten Sinne des Wortes.«
Kreidebleich im Gesicht stand Judith auf und schlug heftig mit den Zügeln auf das Pferd ein. Das Tier machte schnaubend einen Satz vorwärts und überrumpelte Marcus, der immer noch das Geschirr festhielt. Er stolperte, fing sich aber gerade noch rechtzeitig wieder und ließ das Halfter los, bevor er von dem jetzt wild vorwärts galoppierenden Tier mitgeschleift wurde. Er packte die Wagentür, schwang sich auf den Sitz und riß Judith die Zügel aus der Hand. Das Pferd schoß davon, als hätte sich eine Hornisse unter seinem Schwanz eingenistet.
»Monsieur... Monsieur...«, schrie die Frau des Wirts hinter ihnen aufgebracht.
Judith blickte über ihre Schulter zurück. Madame Berthold kam ihnen nachgerannt, eine Bratpfanne schwingend, während ihr die Schürze ins Gesicht flatterte. Ihre Haube segelte in den Straßengraben, was sie aber nicht hinderte, ihre Verfolgungsjagd fortzusetzen.
»Ich glaube, du hast vergessen, die Rechnung zu begleichen«, sagte Judith mühsam beherrscht, und ein fast hysterisches Gelächter verdrängte plötzlich ihre Wut auf Marcus.
»Verdammt!« Er zog die Zügel an, und der erschreckte
Gaul kam schnaubend zum Stehen. Marcus drehte sich zu Judith um, die sich vor Lachen die Seiten hielt. Seine Lippen zitterten, und seine Schultern begannen zu zucken, als ihm aufging, wie absurd die ganze Szene war. Er blickte zurück zu Madame Berthold, die immer noch keuchend und die Bratpfanne schwingend hinter ihnen herstolperte.
»Es kommt der Tag, an dem ich dich wirklich übers Knie legen werden«, bemerkte er zu Judith, der die Lachtränen über die Wangen liefen, als er seine Brieftasche hervorzog. »Deinetwegen hätte ich beinahe als Dieb dagestanden.« Er beugte sich zu der rotgesichtigen, empörten Madame Berthold hinunter und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln, während er eine Flut von Entschuldigungen hervorbrachte, die Schuld an seiner Vergeßlichkeit der Dringlichkeit des Augenblicks zuschrieb.
Madame nahm eine Handvoll Münzen entgegen, die sie mehr als ausreichend für ihre Gastlichkeit entschädigten, und blieb atemlos und schwitzend vor Anstrengung am Straßenrand stehen, als Marcus das Pferd erneut antrieb.
»So, wo waren wir
Weitere Kostenlose Bücher