Bleib ungezaehmt mein Herz
stehengeblieben?« fragte er.
Judith hatte endlich aufgehört zu lachen und lehnte sich gegen die roh gezimmerte Holzbank zurück. »Auf der Straße nach Quatre Bras. Wo wir beide gegen den Strom geschwommen sind.«
»So könnte man es nennen. Wir werden dort sicher einen Priester finden.«
»Es muß doch noch eine andere Möglichkeit geben«, sagte sie und biß sich verzweifelt auf die Lippen. Aber ihr fiel keine ein, die nicht alles zerstört hätte. Würde Sebastian ihr jemals verzeihen, daß sie durch ihr mutwilliges Streben nach Leidenschaft und Sinnlichkeit Monate und Monate der Planung zunichte gemacht hatte?
»Ich habe dir die Jungfräulichkeit genommen, und wir sind in einer Situation erwischt worden, die dich ruinieren könnte. Unter solchen Umständen gibt es keine ehrenhafte Alternative.« Es war eine schlichte Feststellung der Tatsachen, und in seiner Stimme schwang keinerlei Gefühl mit.
»Hast du vielleicht vergessen, daß ich eine Pferdediebin bin, ein verrufenes Frauenzimmer, das falschspielt und am Rande der Gesellschaft lebt, im Schatten der Spieltische?« Judiths Stimme klang gepreßt, und sie schluckte verärgert.
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Ich werde eben dafür sorgen müssen, daß du dir deine unpassenden Aktivitäten abgewöhnst.«
»Und wenn ich sie mir nicht abgewöhnen lasse?«
Er zuckte die Achseln. »Das ist kein Scherz, Judith. Als meine Frau wirst du eine gewisse Verantwortung für meinen Namen und mein Ansehen tragen. Du wirst diese Verantwortung als deinen Teil des Handels akzeptieren.«
Handel? Judith wandte sich von ihm ab, während sie versuchte, das Chaos ihrer Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen. Eine Heirat mit dem Marquis von Carrington wäre sowohl für sie als auch für Sebastian von großem Vorteil. Als Marquise von Carrington hätte sie augenblicklich und ohne die geringsten Schwierigkeiten Zutritt zu den Kreisen, in denen Gracemere sich bewegte - was auch für Sebastian als den Schwager des Marquis' gelten würde. Ihre Stellung in der Gesellschaft wäre gesichert, und ihre gegenwärtigen Geldmittel würden mehr als ausreichend sein, um Sebastian als Junggesellen in London zu etablieren. Er würde elegant eingerichtete Räume statt eines großes Hauses brauchen, einen Diener statt einer ganzen Schar von Bediensteten. Ihr angesammeltes Geld würde sogar noch weiter reichen. Es würde bedeuten, daß sie ihren Racheplan viel früher als erwartet ausführen könnten. Und wenn die Sache vorbei wäre, hätte Sebastian seine ihm zustehenden Rechte wiedererlangt. Das Schicksal hatte ihr diese Karte zugespielt; nur ein Dummkopf würde sich wegen irgendwelcher Skrupel weigern, sie auch zu benutzen.
Aber Marcus durfte nichts davon wissen. Es gab so viele Geheimnisse, von denen er nichts wissen konnte. Wie sollte sie also ihren Teil des Handels einhalten?
»Ich weiß nichts von dir«, sagte Judith. »Warum hast du nie geheiratet?«
Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Marcus' Gedanken schweiften in die Vergangenheit ab, und er dachte über die Wahrheit nach... und die Halbwahrheit, die zur Wahrheit geworden war. Sein Ehrgefühl band ihn immer noch an diese Halbwahrheit, obwohl das Mädchen, dem die ganze Geschichte am meisten hätte schaden können, schon so viele Jahre in seinem Grab ruhte. Die volle Wahrheit war jetzt nur ihm selbst und einer anderen Person bekannt. Aber es war eine faire Frage.
»Es ist eine einfache und wenig bemerkenswerte Geschichte, aber Stolz ist eine teuflische Sache, und ich habe leider mehr davon, als manchmal gut ist. Vor zehn Jahren sollte ich mich verheiraten. Mit einer Frau, die in jeder Beziehung das Gegenteil von dir war. Ich kannte sie schon seit meiner Kindheit, und es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, ihr den Hof zu machen. Sie war eine liebe, lammfromme Seele, von der ich annahm, daß sie mir eine gehorsame, pflichtbewußte Ehefrau sein würde. Statt dessen verliebte sie sich bis über beide Ohren in einen Glücksspieler, der sie äußerst geschickt einwickelte. Sie löste unsere Verlobung wieder auf.«
Seine Stimme klang beherrscht, fast ausdruckslos, als er fortfuhr. »Die Rolle des verschmähten Verlobten war sehr hart und demütigend für mich. Ich war noch ziemlich jung, zu jung, um eine solch öffentliche Bloßstellung mit Gelassenheit zu ertragen. Damals kam ich zu dem Schluß, daß ein Mann auch ohne Ehefrau in absoluter Zufriedenheit leben kann.«
»Hat sie den Glücksspieler geheiratet?«
War ihr denn überhaupt
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