Bleib ungezaehmt mein Herz
Lächeln reagierte, dieses Lächeln, das Judiths so sehr glich. »Ganz richtig«, erwiderte er. »Wollen wir hineingehen? Oh, Judith, gib mir lieber den Ring zurück.«
Der Geistliche fand diese Aufgabe mitten in einer Schlacht offensichtlich nicht abwegiger, als den Sterbenden Beistand zu leisten, wie er es den ganzen Tag über getan hatte. Er war so übermüdet wie alle anderen, nahm Judiths blutbeschmierte, zerzauste Erscheinung mit einem verständnisvollen Nicken zur Kenntnis, rief eine alte Tante aus der Küche herbei, die als zweite Trauzeugin fungieren sollte, und führte den kleinen Trupp in die zerstörte Kirche. Er murmelte die Litanei mit so hoher Geschwindigkeit herunter, daß selbst Judith, die seit frühester Kindheit Französisch sprach, Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen.
Und dann - inmitten zerborstener Mauern, vor einem Altar, der zum Himmel offenstand, inmitten eines Schlachtfelds, umgeben von der Schrecklichkeit des Krieges
- heiratete Judith Davenport Marcus Devlin, Marquis von Carrington, in den Augen der Kirche. Er steckte seinen Siegelring an ihren Finger und sagte ruhig: »Wir werden etwas Passenderes finden, sobald wir in London sind.« Dem Brauch gemäß legte er seine Lippen leicht auf ihre.
»M’sieur... Madame... s'il vous plait...« Der Priester kam aus der Sakristei zurück, ein ledergebundenes Buch in der Hand. »Le registre.«
Judith und Marcus schrieben beide ihre Namen in das Eheschließungsregister unter die gekritzelten und ziemlich unleserlichen Unterschriften ihrer Vorgänger.
»Et vous aussi, M'sieur.« Der Priester nickte Sebastian zu, der seinen Namen unter den seiner Schwester setzte. Die Tante malte ein großes X daneben.
Verlegenes Schweigen breitete sich plötzlich in der dunklen, halb zerstörten Kirche aus. Judith räusperte sich, gerade als Sebastian mit wenig überzeugender Herzlichkeit sagte: »Also, das war's dann wohl. Meine Glückwünsche.« Er küßte seine Schwester und schüttelte seinem Schwager die Hand. »Ich habe eine Flasche Cognac in meiner Satteltasche. Wir sollten einen Toast darauf trinken.«
Marcus nickte. »Warum geht ihr nicht schon hinaus, während ich den Priester bezahle?«
Judith starrte auf die Seite in dem Heiratsregister, betrachtete die drei Unterschriften. Eine seltsame Kälte kroch ihr den Nacken hinauf, und ihre Kopfhaut zog sich plötzlich zusammen. »Laß uns nach draußen gehen«, sagte Sebastian und nahm ihren Arm. Wie betäubt folgte sie ihm in den Garten.
»Es ist nicht legal«, flüsterte sie.
Er starrte auf sie hinunter. Ein matter Halbmond schimmerte durch den Dunstschleier von Wolken und Kanonenrauch. Er verlieh Judiths Gesicht eine wächserne Blässe. »Was meinst du? Ich verstehe nicht.«
»Die Namen«, flüsterte sie. »Es sind nicht unsere rechtmäßigen Namen!«
»Großer Gott!« Sebastian stieß einen unterdrückten Pfiff aus. »Seit wir Babys waren, kennt uns keiner mehr unter unseren Taufnamen. Ich denke noch nicht mal mehr daran.«
»Was sollen wir nun tun?«
»Nichts«, erwiderte er. »Kein Mensch wird jemals davon erfahren. Wenn wir jetzt in die Kirche zurückgehen und die Sache richtigstellen, wird Marcus alles wissen wollen.«
Judith lief ein Schauer über den Rücken. »Das ist ja absurd. Ich bin verheiratet und bin es gleichzeitig nicht.«
»Judith Davenport ist verheiratet«, sagte Sebastian fest. »Charlotte Devereux existiert seit ihrem zweiten Lebensjahr nicht mehr.«
»Aber was ist mit Kindern?« entgegnete sie fast wild. »Sie werden unehelich sein.«
»Niemand weiß davon außer uns beiden«, erklärte er und ergriff ihre beiden Hände. »Niemand wird jemals davon erfahren. Wir erschaffen unsere eigenen Tatsachen... unsere eigenen Wahrheiten... so haben wir es immer getan.«
»Ja«, antwortete sie. Sie riß sich zusammen. »Ja, du hast recht. Was ist schon ein Stück Papier?«
Die Kirchentür fiel mit einem Knall ins Schloß, und Judith und Sebastian fuhren wie in einem Reflex schuldbewußt auseinander. Marcus kam stirnrunzelnd auf sie zu, sein Argwohn war aufs neue erwacht. »Störe ich vielleicht bei Familiengeheimnissen?« Seine Stimme klang gepreßt.
Verzweifelt suchte Judith nach einer Antwort, die nicht völlig unwahr war. Ihr Lächeln wirkte gezwungen, doch sie bemühte sich, natürlich zu klingen. »Wir haben gerade von unserem Vater gesprochen. Er starb letztes Jahr in Wien.«
»Er wäre glücklich gewesen, Judith verheiratet zu sehen«, fügte Sebastian geschickt hinzu.
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