Bleib ungezaehmt mein Herz
keine Zeit seines Lebens erinnern, in der sie nicht da gewesen wäre, so eng mit ihm verbunden, daß es manchmal schien, als lebten sie in einer
Haut. Sie teilten alles miteinander; Gedanken, Träume, Sehnsüchte, Alpträume. Sie lachten über dieselben Dinge und weinten über dieselben Dinge. Und jetzt würde Judith jemand anderen haben, dem sie ihre Zuneigung schenkte... mit dem sie alle diese Dinge teilte.
»Willst du ihn denn heiraten?« fragte er schroff. »Oder tust du es nur, weil du mußt?«
Sie biß sich auf die Lippen. »Was ich dabei fühle, spielt keine Rolle. Ich habe diese Katastrophe ausgelöst, also muß ich sie auch in Ordnung bringen. Es ist der einzige Weg, der uns jetzt noch bleibt, um das zu tun, was wir tun müssen. Und es wird perfekt laufen, Sebastian. Als Marquise von Carrington bin ich automatisch in den richtigen Kreisen, um mich mit Gracemere anzufreunden, und da du mein Bruder bist, wird deine gesellschaftliche Stellung ebenfalls gesichert sein. Es könnte gar nicht besser sein, meinst du nicht auch?«
»Nein, wahrscheinlich nicht.« Er starrte nachdenklich in die Dunkelheit. Vielleicht würde ihn die Sache weniger schmerzen, wenn er sie im Zusammenhang mit der Verwirklichung ihres Plans sehen könnte. »Was, wenn Carrington dahinterkommt, daß du ihn benutzt hast?«
Judith zuckte mit den Schultern. »Warum sollte er?«
Sebastian strich sich mit der Hand durchs Haar und runzelte die Stirn. »Wir müssen verdammt aufpassen, daß er es niemals merkt, Ju. Ich kenne den Mann nicht, aber ich wette mit dir, daß er ein teuflisch unbequemer Gegner sein würde.«
Judith war zu einer ähnlichen Beurteilung gekommen, versuchte jedoch, mit einem Scherz darüber hinwegzugehen. »Oh, das Schlimmste, was ich von ihm weiß, ist, daß er ein Autokrat ist. Aber damit sollte ich eigentlich fertigwerden. Ich bin sicher, er hat keine geheimen Laster oder Perversionen.« Sie lachte nervös. »Ich glaube, ich würde so etwas spüren, nachdem... ich meine, da...«
»Ich weiß sehr gut, was du meinst«, unterbrach Sebastian sie spöttisch. »Und wenn es dir recht ist, wollen wir uns lieber nicht näher darüber auslassen.«
»Entschuldige«, sagte sie. »Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Nun ja, daran werde ich mich wohl gewöhnen«, erwiderte er, plötzlich ganz geschäftsmäßig. »Und wenn du dir sicher bist und die Sache durchziehen willst, können wir deine Position bestimmt zu unserem Vorteil nutzen. Abgesehen davon mußt du ja sowieso irgendwann heiraten. Ich sollte erleichtert sein, dich so gut etabliert zu sehen.«
Judith war von der plötzlichen Lebhaftigkeit ihres Bruders zwar nicht völlig überzeugt, zog es jedoch vor, sie nicht in Frage zu stellen. »Dann laß uns gehen und es tun«, erklärte sie mit der gleichen Entschlossenheit.
Marcus wartete in dem kleinen Garten vor dem Haus des Priesters auf sie. Er sah, wie sie die Straße hinunterkamen, Arm in Arm, die Köpfe zusammengesteckt, intensiv in ein Gespräch vertieft. Worüber mochten sie reden - über ihn? Wie leicht war er manipuliert worden?
Marcus verdrängte seine Zweifel abrupt. Judith und Sebastian hatten verständlicherweise eine Menge zu bereden. Das war ganz normal und bedeutete nicht, daß sie finstere Pläne schmiedeten. Judith war unkonventionell und skrupellos, aber das hieß nicht, daß sie hinterhältig und intrigant war.
Und als er sie ansah, ihre strahlende Schönheit betrachtete, der das Blut und der Schweiß von ihrem Tag unter Verwundeten und Sterbenden kaum etwas anhaben konnten, ihre geschmeidige Gestalt, immer noch anmutig und elegant trotz ihrer Erschöpfung, da begehrte er sie plötzlich wieder so heftig wie am Abend zuvor. Sie würde ihm keine gewöhnliche Ehefrau sein, dessen war er sicher. Sie war zu sprunghaft, besaß so viele Facetten wie ein geschliffener Diamant, und er konnte sich nicht vorstellen, daß er ihrer jemals überdrüssig sein würde.
Marcus trat auf die beiden zu, als sie in den Garten einbogen, und streckte Sebastian die Hand entgegen. »Nun, Sebastian, ich hoffe, deine Schwester hat deine Erlaubnis.
Ich nehme an, ich hätte ganz formell bei dir um ihre Hand anhalten sollen.«
Sebastian ergriff die angebotene Hand und drückte sie. »Ju hat noch nie irgend jemandes Erlaubnis gebraucht, um etwas zu tun. Und überhaupt«, sagte er mit verschmitztem Lächeln, »unter den gegenwärtigen Umständen...«
Marcus ertappte sich dabei, wie er auf das charmante, ansteckende
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