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Bleib ungezaehmt mein Herz

Titel: Bleib ungezaehmt mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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der Musketen. Männer rannten hin und her, und die ersten Verwundeten wurden herbeitransportiert.
    Judith rannte zum Hof hinaus und um die Reihe von Bauernhäusern herum zu einem kleinen Hügel. Als sie die Kuppe erreichte, starrte sie mit fasziniertem Entsetzen auf die Szene, die sich vor ihr ausbreitete. Über das wenige Ar große, von Hecken begrenzte Feld schwenkten zwei gewaltige Armeen vor und zurück, Fahnen wehten im Wind, Trompeten schmetterten. Wellingtons Infanterie griff die französischen Bataillone an. Kavallerie stürmte vor und ritt Männer und Kanonen in Grund und Boden, während Schwerter und Lanzen hackten und zustießen. Reihen von Infanteriesoldaten fielen auf die Knie, ihre Musketen auf den Feind angelegt, dann erscholl ein gewaltiges Dröhnen, und die Linie der vorrückenden Franzosen war dezimiert.
    Von Judiths Beobachtungsposten aus der Ferne wirkte die Szene wie eine anarchische Theateraufführung, der verzerrten Phantasie eines wahnsinnigen Stückeschreibers entsprungen. Was mußte es für ein Gefühl sein, mitten in diesem Nahkampfgemetzel zu sein, sich Mann gegen Mann gegenüberzustehen, mit nur einem einzigen Ziel - zu töten? Leblose Körper bedeckten das Feld, Männer und Pferde fielen auf allen Seiten, und es war unmöglich zu glauben, daß dem Töten auf beiden Seiten irgendeine Zielrichtung, irgendeine schlüssige Strategie zugrunde lag. Und dennoch mußte es so sein. Marcus war irgendwo in diesem mörderischen Gedrängel, erkannte wahrscheinlich einen Sinn dahinter.
    Judith kehrte in den Hof zurück, um bei der Versorgung der Verwundeten zu helfen, kletterte jedoch am Spätnachmittag noch einmal auf den Hügel. Der preußische Vorstoß gegen Napoleons Flanke entfaltete jetzt seine Wirkung, obwohl Judith das nicht wußte. Aber sie hatte durchaus den Eindruck, daß die Franzosen zurückzufallen schienen oder daß sie zahlenmäßig zumindest weniger wurden. Sie spähte in das Getümmel und entdeckte eine massive Kanonade, auf eine kleine Anhöhe ausgerichtet, hinter der eine Brigade britischer Foot Guards Schutz suchte. Judith kam es vor, als müsse die Kanonade mit ihrer brutalen Gewalt die Erde spalten. Doch plötzlich hörte das Feuern auf. Einen unheimlichen Moment lang herrschte Stille. Dann verzog sich der Kanonenrauch, und Judith starrte wie hypnotisiert auf die Kolonne französischer Grenadiere, Napoleons Imperial Guard, die auf die Bodenerhöhung zustürmten. Der mörderische Schrei »Vive l'Empereur« stieg zum Himmel auf, als sich die Truppe in tödlicher Formation vorwärts bewegte.
    Es war sechs Uhr abends.
    Plötzlich erhob sich die Brigade der Foot Guards hinter dem kleinen Hügel wie ein Mann vom Boden und feuerte Runde auf Runde in die Imperial Guard hinein. Die Schüsse hatten die Wirkung eines Rammbocks, der die Frontlinie der französischen Truppen gewaltsam zurückdrängte. Mit einem fast urzeitlichen Schrei, der Judith die feinen Härchen im Nacken zu Berge stehen ließ, sprang die Brigade der Foot Guards mit gezückten Bajonetten vorwärts. Während Judith zuschaute, passierte das Undenkbare. Napoleons Imperial Guard, seine letzte Hoffnung, sein Werkzeug für den sicheren Sieg, die Veteranen eines zehnjährigen Krieges und unzähliger Triumphe, traten aus der Anordnung, machten kehrt und rannten davon, verfolgt von der brüllenden Brigade.
    Langsam wandte Judith sich ab und ging den Hügel hinunter. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie da gesehen hatte. Aber es schien vorbei zu sein. Wellington und Blücher hatten die Schlacht von Waterloo gewonnen. Die Atmosphäre im Stallhof war von erschöpftem Triumph erfüllt, als die Sonne unterging und das Donnern der Geschütze nur noch sporadisch erscholl. Die Zahl der Toten war horrend, und die Verwundeten wurden in ganzen Wagenladungen hereingebracht, aber Napoleon war vernichtend geschlagen worden. Die Preußen setzten der fliehenden französischen Armee nach, ließen die erschöpften Briten zurück, um wieder zu sich zu kommen, ihre Stärke zurückzugewinnen und Bilanz über ihre Verluste zu ziehen.
    Gegen Mitternacht ritt Marcus in den Hof. Er hatte Wel-lington zu dessen Treffen nach dem Sieg mit Blücher begleitet. Die beiden Männer hatten einander geküßt, und Blücher hatte die Ereignisse des Tages in seinem dürftigen Französisch zusammengefaßt. »Quelle affaire! «
    Eine passende Wortwahl, so kam es Marcus vor. Superlative hätten irgendwie nicht das Gefühl von Endgültigkeit getroffen, das sie

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