Bleib ungezaehmt mein Herz
Trab die Straße hinunter.
Judith wartete, bis sie in den Hyde Park eingebogen waren, bevor sie ihrem Bruder berichtete, was sie von Gracemere erfahren hatte. Sebastian hörte schweigend zu, dann schüttelte er ungläubig den Kopf, als ihm die Verzwei-gung klarwurde. »Dann hat Carrington dir von seiner geplatzten Verlobung erzählt?«
»Ja, noch vor unserer Heirat. Aber er sagte nicht, wer der Mitgiftjäger war, und ich habe ihn auch nicht gefragt. Gütiger Himmel, warum sollte ich mir darüber den Kopf zerbrechen?«
»Von allen verdammten Zufällen ...«, knurrte Sebastian. »Es scheint, als wäre Gracemere in sämtliche Fäden unseres Lebens verwickelt.«
»Ich würde ihm am liebsten ein Messer zwischen die Rippen stoßen«, sagte Judith finster und ließ einen Moment lang unachtsam die Hände sinken, so daß die Pferde sofort einen Satz vorwärts machten.
Sebastian beobachtete kritisch, wie Judith die Tiere wieder unter Kontrolle brachte. »Du solltest wirklich versuchen, dich zu beherrschen«, sagte er. »Ich bin sicher, wir können unseren Plan verwirklichen, ohne zu Mord übergehen zu müssen. Gracemere verdient noch viel Schlimmeres.«
Judith lächelte grimmig. »Meine Strategie steht jedenfalls fest. Ich werde ihn in ein Komplott verwickeln, um Marcus zu trotzen. Gracemere hält mich für eine dumme Gans, die gegen die Vorschriften ihres Ehemannes rebelliert, und ich bin überzeugt, er genießt die Idee eines Flirts mit der Gattin des Mannes, dem er schon einmal eine Frau ausgespannt hat.«
»Du spielst mit Feuer, mein Mädchen«, warnte Sebastian.
»Ich werde vorsichtig sein«, sagte sie mit ruhiger Zuversicht und erwiderte mit leichtem Kopfnicken die Grüße einer Gruppe von Armeeoffizieren, die neben der Fahrbahn standen. Das gewagte Gefährt und seine Wagenlenkerin zogen ziemlich viel Aufmerksamkeit auf sich, wie Judith mit Befriedigung feststellte.
Sebastian bemerkte es ebenfalls. »Ich wette mit dir, daß dein Zweispänner innerhalb einer Woche der letzte Schrei sein wird«, bemerkte er amüsiert. »Jede Frau, die sich für eine fähige Kutscherin hält, wird so ein Ding haben wollen.«
»Marcus wird natürlich strikt dagegen sein«, erwiderte Judith nachdenklich.
»Ich schätze, dein Moment, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, ist gekommen.« Sebastian zeigte auf den Gehweg, wo Marcus mit zwei Freunden stand.
»Ah...«, sagte Judith nur.
15. Kapitel
Peter Wellby erblickte sie als erster. »Zum Teufel, Carrington, ist das nicht Lady Carrington?«
»Mit den Zügeln kann sie weiß Gott umgehen«, bemerkte Francis Tallent bewundernd. »Ich glaube nicht, daß ich schon mal eine Frau ein solches Gefährt habe lenken sehen. Und auch noch mit einem Doppelgespann!«
Marcus schaute zu, wie sich der Zweispänner in flottem Trab näherte; Judith schien sich auf ihrem gefährlich schwankenden Sitz wie zu Hause zu fühlen, ihre Peitsche in tadellosem Winkel. Sebastian machte ebenfalls den Eindruck, als fühlte er sich dort oben wohl, aber was zum Teufel dachte er sich dabei, seiner Schwester ein solches Benehmen in aller Öffentlichkeit zu erlauben? Für eine Frau war es der Gipfel des Vulgären, eine Sportkutsche zu fahren. Aber vielleicht wußten die Davenports das nicht. Schließlich waren sie ohne Schulbildung und angemessene Erziehung aufgewachsen. Marcus rang mit sich, ob er nicht im Zweifelsfall zu ihren Gunsten entscheiden sollte.
»Das ist Granthams Gespann«, sagte Wellby. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß er verkaufen wollte.«
»Davenport hält offensichtlich die Ohren offen«, erwiderte Marcus beiläufig.
Er trat an den Rand des Gehsteigs, als Judith die Pferde zügelte. »Das nenne ich schnell reagiert, Sebastian. Halb London hat auf die Nachricht gewartet, daß Grantham zwangsverkaufen müßte.«
Sebastian lachte. »Schöne Tiere, nicht?«
»Sehr«. Marcus trat an die Kutsche und sagte ruhig: »Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast, Judith. Gib deinem Bruder die Zügel zurück und steig sofort ab.«
Bruder und Schwester lächelten ihn mit einem hinterhältigen Aufblitzen in ihren goldbraunen Augen an.
»Es sind nicht Sebastians Zügel, Marcus. Sie gehören mir. Er hat die Kutsche und die Pferde in meinem Auftrag gekauft«, erklärte Judith. »Ich nehme ihn auf eine Tour durch den Park mit.«
Einen Moment lang verschlug es Marcus die Sprache. »Überlassen Sie mir Ihren Platz, Davenport«, verlangte er grimmig und legte eine Hand auf das Trittbrett der
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