Bleib ungezaehmt mein Herz
erinnern, verschaffte ihr einen klaren Kopf und hielt sie außerdem davon ab, ständig auf die Uhr zu schauen, während sie auf Marcus wartete.
Sie wußte exakt den Moment, als er das Haus betrat. Trotz ihrer Überzeugung, daß er weder das Recht noch einen Grund zur Beschwerde hatte, klopfte ihr Herz schneller, und sie versuchte, ihre verschwitzten Handflächen an den glatten Marmorfiguren zu kühlen. Dann hörte sie Marcus' Schritte draußen auf dem Flur und beugte hastig den
Kopf über das Schachbrett, vollkommene Konzentration auf das Spiel vortäuschend, als die Tür aufging.
Unpassenderweise war Marcus äußerst angetan von dem reizvollen Anblick, den Judith bot. Ihre kupferfarbenen Locken spielten um ihren gebeugten Kopf und enthüllten die schlanke Linie ihres Nackens. Sein Blick wanderte über ihren Körper, eingehüllt in das hauchdünne Neglige, das sie zart und zerbrechlich wirken ließ. Ein schmaler weißer Fuß schaute unter dem Saum hervor, und Marcus durchzuckte es heiß, als er begriff, daß sie unter dem verführerischen Kleidungsstück nackt war.
Einen Moment lang blieb er in der offenen Tür stehen und wartete darauf, daß Judith auf seine Anwesenheit reagierte. Als sie jedoch keine Anstalten machte, ließ er die Tür mit Schwung ins Schloß fallen.
Judith blickte auf. »Ah, da bist du ja. Wie fandest du meine Pferde?« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Schachbrett zu.
Marcus, der von Gregson erfahren hatte, daß Ihre Ladyschaft sich mit Kopfschmerzen auf ihr Zimmer zurückgezogen hätte, hatte beschlossen, ihren Ungehorsam lieber zu ignorieren und gleich auf sein Hauptanliegen zu sprechen zu kommen. Er hatte sich auch geschworen, seine Wut zu zügeln, aber diese brüske Herausforderung machte alle seine guten Vorsätze mit einem Schlag zunichte. Er trat mit energischen Schritten an den Kamin. »Ich werde nicht zulassen, daß sich meine Frau wie ein vulgäres Frauenzimmer benimmt!«
Sie blickte verwirrt auf und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Es ist nichts Vulgäres dabei, eigenhändig durch den Park zu kutschieren, Marcus.«
»Verdammt, Judith! Spiel mir nicht die Naive vor. Du weißt sehr gut, daß eine Frau, die einen hochsitzigen Zweispänner fährt, so schamlos und direkt wie Letty Lade wirkt. Du bist die Marquise von Carrington, und es wird Zeit, daß du lernst, dich deiner Stellung entsprechend zu benehmen.«
Judith schüttelte den Kopf, und ihr Mund nahm einen leicht trotzigen Zug an. »Du bist so prüde, Marcus. Ich weiß, es ist ein ungewöhnliches Gefährt für eine Frau, aber ungewöhnlich heißt nicht zwangsläufig schlecht... vulgär... schamlos... direkt.«
»Was dich betrifft, so bedeutet es das.«
»Ach? Und wieso?«
»Weil, mein begriffsstutziges Eheweib, jemand von deiner zweifelhaften Herkunft nicht ungeschoren mit Dingen davonkommt, die sich jemand aus untadeliger Familie möglicherweise erlauben könnte. Und als meine Frau hast du die Pflicht, die Ehre meiner Familie zu wahren.«
Judith erbleichte. Wie hatte sie nur denken können, dies sei eine simple Konfrontation in einer simplen Angelegenheit? »Meine Familie und meine >zweifelhafte< Herkunft haben überhaupt nichts damit zu tun. Keiner hier weiß irgendwas über mich, ob gut oder schlecht, und ich bin durchaus fähig, meinen eigenen Stil zu kreieren, ohne die Ehre deiner Familie zu verletzen. Und ich sage es dir geradeheraus: Ich werde ausfahren, wann immer ich Lust dazu habe.« Atemlos ließ Judith sich in ihren Sessel zurücksinken, um Kraft für den nächsten Angriff zu sammeln.
»Du hast eine wesentliche Tatsache vergessen.« Marcus' Stimme klang gefährlich ruhig. »Du bist meine Frau, und du schuldest mir Gehorsam. Du hast einen heiligen Eid darauf geschworen, wie ich mich erinnere.«
Und er wäre vor Gericht keinen Penny wert! »Mein Recht auf meine persönliche Freiheit ist größer. Man kann nicht von mir erwarten, unvernünftigen Befehlen zu gehorchen, die mein Recht auf eigene Entscheidungen beschneiden.«
»Du hast kein solches Recht. Offensichtlich verstehst du das Wesen der Ehe nicht«, erwiderte er bleich vor Zorn, seine Stimme kalt und beherrscht. »Du hättest ihre unerfreulichen Aspekte bedenken sollen, bevor du beschlossen hast, meine Frau zu werden.«
»Aber ich habe nicht beschlossen, deine Frau zu werden«, protestierte Judith.
»Nicht?« Marcus' Blick durchbohrte sie förmlich.
Ihre Lippen fühlten sich plötzlich ganz trocken an, und sie wünschte von
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